Der ungekrönte Hofnarr gibt zu Protokoll

Zu dem Buch "Das Virus Demokratie?" von Mathias Richling.
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures

Es ist für viele Fans des politischen Kabaretts bedrückend, dass viele ihrer Lieblinge eher zu Regierungs-Lautsprechern mutiert sind und zunehmend um wirklich brisante politische Probleme einen wenig eleganten Bogen machen. Das ist nunmehr seit fast zwei Jahren bei dem (scheinbar) alles bestimmenden Thema der Corona-Pandemie für jedermann offensichtlich, der es sehen will. Aber es existieren ganz selten auch noch Ausnahmen. Zu früheren Zeiten im Mittelalter gab es den Hof-Narren, der für Stimmung und Unterhaltung sorgte. Aber seine Aufgabe war es auch, dem Herrscher nicht nach dem Mund zu sprechen, sondern ihm einen Spiegel vorzuhalten, wie Historiker herausfanden. So durfte er Dinge aussprechen und kritisieren, die für andere Mitglieder bei Hofe den Hungerturm oder das Schafott bedeutet hätten. Einer von diesen heute sehr rar gewordenen Hof-Narren ist der Kabarettist, Parodist, Autor und Schauspieler Mathias Richling. Er ist in diese Rolle geschlüpft, die vor einigen Jahren Georg Schramm oder Volker Pispers innehatten. Mathias Richling ist aber immer noch regelmäßig mit seiner Mathias-Richling-Show auf dem Bildschirm beim SWR zu sehen und erfüllt tapfer den Job eines unbestechlichen politischen Kabarettisten. Das kann Richling nur, weil er sich von fremden Federn unabhängig gemacht hat. Er schreibt seit Jahrzehnten alle seine Texte selbst. Nun hat Mathias Richling ein Buch vorgelegt mit dem schlitzohrigen Titel "Das Virus Demokratie? Eine Abschätzung", erschienen im Westend Verlag, Frankfurt/Main 2021. Und da höre ich von Freunden des politischen Kabaretts nicht selten den Einwand: Gedrucktes von selbst herausragenden Kabarettisten wie Dieter Hildebrandt oder Peter Ensikat könnte nicht die Präsentation und den Auftritt ersetzen. Das ist unbestritten. Aber bei diesem Buch handelt es sich nicht um eine schlichte Ergänzung und Erweiterung des Repertoires. Es ist viel mehr. Richling wehrt sich auf 294 Seiten seiner Haut, wie nur ein solch herausragender Kabarettist es vermag, mit Witz, Ironie, Spott, immer auf der Basis von Logik und der Vernunft. Ausgangspunkt des Buches wie im Prolog (Seite 9 ff.) ausführlich beschrieben, ist sein Auftritt in der Sendung bei "Maischberger - Die Woche" am 13. Mai 2020. Wie es Richling bei seinen Auftritten gewohnt ist, geht er beim Thema Corona-Pandemie u. a. auf Widersprüche und falsche Empfehlungen vom überforderten Robert-Koch-Institut ein. Doch hier ist keine Kabarettvorstellung, sondern eine politische Arena. In den Medien vom Mainstream erhebt sich gegen ihn ein Shitstorm, allen voran eine Autorin im "Spiegel". Dieser "Spiegel"-Angriff empört den Kabarettisten besonders, weil in dem Magazin am Beginn der Pandemie nahezu wortwörtlich gleiche oder ähnliche Wertungen zum RKI getroffen wurden. Diese ungeheuerliche Scheinheiligkeit löste die Erwiderung von Richling aus, in der es überhaupt nicht mehr um den "Spiegel", aber darum ging, wie unsere Gesellschaft mit dem Thema Corona umgeht. Die "durchgehenden Unterstellungen und Falschinterpretationen" hatten nun auch etwas Gutes. Sie beschenkten die Öffentlichkeit mit einem sehr lesenswerten Buch. Schon der Prolog in sieben Kapiteln wird recht umfangreich. Er enthält den Nachdruck eines Interviews in der "Stuttgarter Zeitung", der Heimat des Hof-Narren, in dem er Verrücktheiten wieder geraderückt. Um daran gleich eine erste Parodie vom Chef des RKI Lothar Wieler anzuschließen. In einer perfekten Gesichtsmaske (per Foto im Buch zu bestaunen) schlüpft Richling in dessen Sprache und Duktus, um den widersprüchlichen Auftritten von Wieler die Maske herunterzureißen. Der Prolog endet mit der Beantwortung der Frage, ob man über Corona lachen darf. Natürlich darf man. Aber der Spaß hört auf, wenn man wie vor 80 Jahren in Deutschland in Schwarz-Weiß-Verhaltens-Muster verfällt. "Vor 80 Jahren war man entweder Nazi oder Staatsfeind. Dazwischen gab es nichts. Zumindest diesen absoluten Tatbestand unter dem Vorzeichen anderer Definitionen haben wir heute wieder. Entweder ist man regierungskonform und subaltern für jegliche Entscheidung von oben oder man ist Staatsfeind, Gesundheitsgefährder, wenn nicht versuchender Totschläger. Dazwischen gibt es nichts." (Seite 36) Aber jetzt geht es im Buch erst richtig los. Bis zum Epilog werden insgesamt sechs veröffentlichte Interviews aus den Jahren 2020/21 dokumentiert. Besonders können sich die Leser auf die Paraderolle von Richling freuen, sein unübertroffenes Markenzeichen: die Parodie. Und man weiß oft nicht, was mehr zu bewundern und zu bestaunen ist: Die Maske, die dem Parodierten so typisch und fast zum Verwechseln ähnlich ist, die geniale Mimik und Gestik oder der Text des intelligenten Satirikers. Seine grundgescheite lebenskluge Satire nährt mitunter sogar die Hoffnung, dass Unvernunft und Unsinn samt den Personen, die sie verbreiten, vom aufgeklärten Publikum einfach weggelacht werden kann. Wie wir alle wissen, leider nur ein schöner Traum. Aber immerhin kann sich der Leser auf eine illustre Reihe von Politikern freuen, die sich zum Thema Corona tummeln.

Einige Beispiele gefällig?

Friedrich Merz findet es in seinem denkbaren Redeprotokoll (so der Titel des Kapitels) "nur merkwürdig, wie man mir Dinge in den Mund legt, die mich diskreditieren…" und deshalb fordert er in seinem Monolog schließlich: "Ich will die Deutungshoheit über mich." (Seite 49)

In den Kapiteln "Der SPD-Vorsitzende ist immer der Gärtner" und "Die Halb-Vorsitzende" bleiben wenige Bausteine der SPD-Propaganda noch aufeinander, um dann beim potenziellen Redeprotokoll Saskia Eskens gänzlich auf den Boden zu fallen, wenn Richling Frau Esken reden lässt: "Vor allem überholen wir uns gerade selbst. Wir sind die überholte Partei schlechthin." (Seite 63)

Karl Lauterbach fordert in seinem imaginablen Redeprotokoll "Wir brauchen mehr Panikmache, mehr Radikalität. Denn der Ungehorsam wird stärker. Deswegen müssen wir uns umsehen, wie andere autoritäre Regime das schaffen, die Masse auf ihre Seite zu bekommen." (Seite 96)

Elon Musk reflektiert in seinen ungeäußerten Illusionen, dass das Ende des Menschseins auf der Erde erreicht ist: "Das ist das Einzige, was auch die deutsche Regierung perfekt hinbekommt: Freiheitsbeschränkungen." "Der Staat ist verrückt geworden. Der Staat gehört in psychiatrische Behandlung. Oder in eine Fusion mit Nordkorea. Deswegen sage ich: Auf zum Mars!" (Seite 130)

Markus Söder erläutert in seinen nie gesagten Antworten seine Vorstellung von Informationspolitik: „Corona macht jetzt grad das Rennen. Obwohl es viel mehr andere Tote gibt. Also müssen wir den Menschen die Panik davor nehmen. Und wenn es nur dadurch geht, dass man ihnen Zugang verschafft zu anderen Todesarten.“ (S.141)

Ursula von der Leyen begründet in ihren fiktiven Ausreden ihr Versagen bei der Beschaffung von Impfstoff wie folgt: "Wie wir der Presse und den Instituten entnehmen dürfen, werden viele Mittelständler und Kleinunternehmer die Krise wirtschaftlich ohnedies nicht überstehen. Das heißt, diese Menschen haben bei einer eventuellen Infektion ungeimpft genügend Zeit, sich auszukurieren, ohne die Staatskasse durch den teuren Impfstoff belastet zu haben." (Seite 155)

Armin Laschets träumerische Realitäten (Seite 164): "Ich spreche da insbesondere die Masken an. Und mit Masken meine ich … die Bestellung, die Vorteilsannahme, ja die als solche empfundene Korruption … Diese Aufdeckung hätte auch noch Zeit gehabt, bis man sie vergessen hat."

Wolfgang Schäuble philosophiert über die Würde des Menschen: "Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv." (Seite 237)

Doch Mathias Richling reichen die Wahrheiten nicht aus, die er in seinen Parodien mal mehr mal weniger offen ausspricht. Es ist dem König der Parodie hoch anzurechnen, dass er sich nicht hinter einem Satirevorhang oder kabarettistische Garnierung versteckt, sondern seiner ganz persönlichen politischen Meinung und Haltung auch ausreichend Platz im Buch einräumt, zuallermeist originell und wenn nötig scharf ätzend. Eine Fundgrube für kritisches Denken und dabei nie belehrend und langweilig. Es ist ein fulminantes und mutiges Plädoyer für die Verteidigung der Demokratie und des Grundgesetzes in Deutschland. Zum Beispiel, wenn Richling sich zum Denunziantentum äußert (Seite 193): Denunziation aufgrund von Verdächtigungen ist nach §241a StGB strafbar. In Baden-Württemberg hat Innenminister Strobel aufgefordert, Nachbarn zu denunzieren, wenn ein Verdacht besteht, dass sie Einschränkungen nicht einhielten. Damit wurde Denunziation wieder zur Staatsräson erhoben. Und zu Staatsbürgerpflicht. Das hatten wir schon einmal. Richling stellt sich auch dem Thema "Leben retten, kosten was es wolle?" (Seite 229 ff). "Haben wir eine Drei- oder Vierklassengesellschaft geschaffen, wenn wir wirtschaftliche und soziale und psychische Kosten immer höherschrauben, um nur die überleben zu lassen, die an Corona erkrankten?" "Wir haben Menschen verhungern lassen, wir haben Menschen später oder zu spät zugelassen zu Operationen oder Behandlungen, damit wir andere Menschen schützen." Es geht Richling nicht darum, Tote gegen Tote aufzurechnen, aber er mahnt zu Recht an, "zu den Verstorbenen durch Corona die anderen nicht zu vergessen, die an den Nebenwirkungen der Maßnahmen auch gestorben sind." Dabei fällt in Richlings Buch zunächst beim Lesen, Schmunzeln und Lachen nicht auf, dass das Buch bereits im Sommer 2021 erschien, also vor der Bundestagswahl und vor der penetranten Zuspitzung der Corona-Politik durch den Kurs auf Impfzwang. Es hat sich so wenig verändert in der Nachfolge der Merkel-Ära, obwohl zwei neue Parteien in die Regierung eingetreten sind und nun scheinbar alle begeistert von sich selbst weiter merkeln. Doch mindestens eine Lehre vermittelt das Buch "Virus Demokratie". Die Pandemiekrieger sollten gewarnt sei. Wenn sie solche Kabarettisten wie Richling vom Format des Hof-Narren in Talkshows einladen und der dann mit unsachlicher Kritik überzogen wird, könnte daraufhin als ein ungewolltes Ergebnis so ein Buch geschrieben werden. Ein peinliches Resultat für die Regierungspropaganda. Die Konsequenz der öffentlich-rechtlichen Entscheider scheint nun zu sein, Richling nicht mehr in Talkshows der ARD einzuladen und ihn damit - wie sie hoffen - totzuschweigen. Die aufgeklärte Öffentlichkeit sollte diese Hoffnung nicht erfüllen und in großer Zahl die Parodien von Richling im SWR weiter ansehen und in Massen sein Buch lesen.

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

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