Gut und Böse

Über das Buch von Gabriele Krone-Schmalz "Respekt geht anders - Betrachtungen über unser zerstrittenes Land".
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures

Wohl zu keiner Zeit hat die Stimme der Vernunft es leicht, sich Gehör zu verschaffen und wahrgenommen zu werden. Ganz im Gegenteil. In der Historie bis in die Gegenwart hinein gibt es schier endlose Versuche, die Vernunft mit ihren Fakten und Argumenten zurückzudrängen, abzublocken, auszuschalten, einzugrenzen, zu verhindern und schließlich zu torpedieren und gnadenlos zu bekämpfen. Dann wird die Bahn frei für den Geist der Unvernunft. Als Synonyme für Unvernunft wird im unverdächtigen Synonymwörterbuch eine illustre Sammlung von Wörtern und Begriffen angeboten. Nur eine kleine Auswahl: Dummheit, Fehler, Irrtum, Irrwitz, Leichtsinn, Narrheit, Unsinn, Unüberlegtheit, Wahnwitz, Narretei. Unvernunft ist meist ein törichtes Verhalten. Unvernunft kann auch ein Unverantwortlichkeitsgefühl heißen. Man kann sagen, dass jemand durch seine Unvernunft in den Ruin getrieben wird. Man kann sagen, dass es eine große Unvernunft ist, wenn man bei Lawinengefahr in den Bergen wandern geht oder bei aufkommendem Sturm mit dem Schiff aufs Meer hinausfährt. Gabriele Krone-Schmalz ist eine Stimme der Vernunft. Sie hat im Jahr 2020 das Buch "Respekt geht anders - Betrachtungen über unser zerstrittenes Land" im C.H. Beck Verlag München veröffentlicht. Diese Stimme der Vernunft gehört einer Journalistin, die beim WDR und später als Moskau-Auslandskorrespondentin und in Kultursendungen bei der ARD gearbeitet hat und seit 2011 Professorin für TV und Journalistik an der Hochschule Iserlohn ist. In ihrem einleitenden Kapitel "Nun mal ehrlich" beschreibt sie ihre Motive, warum sie nach Rückkehr von ihrem Auslandsjob zum Schreiben über Deutschland getrieben wurde. Es waren hier die politischen und journalistischen Eliten, die mit zweierlei Maß diverse Weltregionen vermessen und bevormundet haben. "Es waren der Ärger und eine gewisse Sorge um Fehlentwicklungen in meinem Land, indem ich gerne lebe…" (Seite 7) Ihr jüngstes Buch nun, so bekennt sie, ist weit mehr von Sorge als Ärger geprägt. Die Autorin ärgert Alarmismus und Hysterie in der Diskussion. Aber für sie ist zunehmend besorgniserregend, wenn Meinungen zwar geäußert werden können, aber vom jeweils anderen Lager ausgegrenzt und diffamiert werden, wahlweise als Nazi, Rassist, Volksverräter, links-grün Versiffte, als Putin-Versteher oder schlicht als alter weißer Mann. Sie ist besorgt über die zunehmende Spaltung der Gesellschaft und die Beschädigung von Grundfesten des demokratischen Rechtsstaates (Seite 8). Die Journalistin Krone-Schmalz musste am eigenen Leib spüren, wie sie mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung aus der Zeit als Russland-Korrespondentin, bei Talk-Runden a la Maischberger und Co. als "Putin-Versteherin" herabgesetzt wurde. Hier trat sie gegen die moralische Aufladung der Debatten auf, gegen ein Gut-Böse-Schema, dass die klare Sicht auf die jeweiligen Problemlagen und objektiven Interessen behindert oder ganz unmöglich macht. Und wer den Gegner nicht als Menschen mit anderer Meinung ansieht, sondern als fragwürdige Person, der verletzt die Würde des Andersdenkenden, hetzt Gruppen und Länder gegeneinander. Mit dieser von ihr konsequent vertretenen Position ist Krone-Schmalz mittlerweile aus den Fernsehdebatten verbannt. Obwohl bei ihren Auftritten in der Diskutierrunde nahezu alle eine gegenteilige Meinung vertraten und einige versuchten, ihr ständig ins Wort zu fallen, wollten die Entscheider ihre Stimme der Vernunft nicht mehr ertragen. Ihre letzte Teilnahme an einer Diskussionsrunde im Fernsehen fand im März 2018 beim ARD-Maischberger Talk statt. Dafür kann sich der Interessierte von der streitbaren Journalistin noch Vorträge im Internet ansehen, beispielsweise spricht sie im Forum der Volkshochschule Köln (übrigens ihrer Heimatstadt) zum Thema: "Eiszeit mit Russland?" und an der Volkshochschule Reutlingen ordnet sie anlässlich Michail Gorbatschows 90. Geburtstag sein politisches Wirken ein und kommt dabei natürlich auch auf das Thema "Osterweiterung der NATO" zu sprechen. Siehe dazu auch diese youtube-Videos hier und hier. Jetzt in ihrem neuesten Buch hat die Autorin ohne Zwischenrufe und Störungen die Gelegenheit, ihre Position darzulegen, "…was in unserer "Debattenkultur" schief läuft und so viel wie möglich dazu beizutragen, konstruktiven Streit anzuregen" (Seite 10). Die Kapitel-Überschriften zeigen, dass es ihr nicht darum geht, all die Sachthemen detailliert aufzuarbeiten, sondern um die Streitkultur. Sie lauten: "Entweder… oder…", "Hysterikerland", "Gut und Böse", "Die Würde des Andersdenkenden", "Jung und Alt" und "Die Aufmerksamkeitshändler". Wer allerdings bei dieser Vorschau befürchtet, dass die Professorin sich auf Allgemeinplätze und theoretische Versatzstücke zurückzieht, der kennt die streitbare Krone-Schmalz nicht. Es geht hart zur Sache und kein relevantes Debatten- und Streitthema wird ausgelassen. Das beginnt bei der herrschenden Politik der Corona-Pandemie. Lautet die Frage wirklich, was nun wichtiger sei: Gesundheit oder Wirtschaft? Beides hat konkret mit Menschen zu tun. Das geht weiter mit der Klimadiskussion. Nicht jeder, der Kritik an Klimaaktivisten übt, ist ein Klimaleugner. Die Deutsche Umwelthilfe wurde einst vom BUND 1975 zum Sammeln von Spenden gegründet. Mittlerweile hat sie Klagerecht erlangt und profiliert sich zunehmend in Abmahnpraxis, Eigennutz vor Gemeinnutz (Seite 83ff.). Und die Autorin kneift auch nicht vor solchen sensiblen Themen, was denn genau unter antisemitischem Verhalten zu verstehen ist und wenn die schlichte Aussage: "Israelkritik muss erlaubt sein" es in eine Sammlung antisemitischer Zitate schafft (Seite 103). Oder wer bestimmt, wer ein Nazi ist, wenn eine Essener Tafel einen Aufnahmestopp für Ausländer festlegt und dann ihre Türen mit dem Wort "Nazi" beschmiert werden oder der frühere österreichische Bundeskanzler Kurz als "Hitlers Baby" bezeichnet wird (Seite 115). Schließlich macht die Autorin im Kapitel "Die Aufmerksamkeitshändler" auch keinen Bogen um einen großen Teil ihrer Berufskollegen, die eine überdramatische Weltsicht bevorzugen, unter dem Motto "Zoff sells". Journalisten sind auch nicht dazu da, sich als Schulmeister der Nation oder als Gesinnungspolizei aufzuführen. Vielmehr sieht die Autorin den Journalismus als eine wesentliche Säule in einem System, das davon lebt, dass gut informierte Menschen die Freiheit haben, sich entscheiden zu können, "wählen" zu können (Seite 162). Selbstverständlich spricht die frühere Moskau-Korrespondentin auch zum Thema Russland Klartext und lässt Helmut Kohl und Michail Gorbatschow und Horst Teltschik zu Wort kommen, was schließlich in die Forderung mündet, Russland wieder zum G7 Gipfel einzuladen. "Frieden ist kein Geschenk, weder der Frieden, der den Gegensatz von Krieg darstellt, noch sozialer und gesellschaftlicher Frieden" (Seite169). Bereits im Jahr 2021 erschien die 3. Auflage von "Respekt geht anders". Es zeigt sich eine nicht geringe Nachfrage. Aber die ist nicht ausreichend. Es sollte zur Pflichtlektüre erhoben werden, vor allem für jene, die sich nur am Rande mit Politik beschäftigen und sich kritiklos allein in den Massenmedien informieren. Bei Lawinengefahr in den Bergen geht man nicht wandern und bei aufkommendem Sturm fährt man nicht mit dem Schiff auf das Meer hinaus. Naturgesetze wirken auch bei guten Vorsätzen zum Klimaschutz, die Sicherheitsinteressen von Russland können nicht weggeredet werden. Russland dürfte keine Atomraketen auf Kuba und an der Grenze von Mexiko zur USA installieren, aber den USA und der NATO ist dieses erlaubt in der Ukraine an der Grenze zu Russland? Es bedarf dringend rechtliche Garantien für einen NATO-Verzicht auf eine weitere Osterweiterung. Und rechtliche Garantien, dass keine Kampfsysteme an Russlands Grenze aufgestellt werden. Wenn Politiker oder ihre Verleger und Chefredakteure in der Außenpolitik ganz offensichtlich Interessen der USA im Machtpoker vertreten, hat das handfeste Gründe. Für die große Masse der Bevölkerung steht die Friedenssicherung im Vordergrund. Politisches Desinteresse schützt nicht vor Unvernunft in der Politik. Deshalb sind diesem Buch der Vernunft von Krone Schmalz noch viel mehr Leser zu wünschen. Und zum Ausblick der Autorin gehört ihr Wunsch: Streitkultur braucht beides: Mut und Gelassenheit.

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

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