Normalos aller Länder vereinigt Euch

Über das Buch von Cora Stephan "Lob des Normalen". Ein Freund fragte mich neulich, ob wir beide noch normal sind.
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures

Auf der täglichen Autobahn des gesunden Menschenverstandes kommen uns doch so viele Geisterfahrer entgegen. Da kann man schon unruhig werden. Sind wir mit unseren Positionen etwa die Geisterfahrer? Besonders für all jene, die sich zunehmend auch solche Frage stellen, hat Cora Stephan das Buch "Lob des Normalen" geschrieben. Es bestätigt sicher manche zusätzlich, dass sie auf der richtigen Seite der Fahrbahn unterwegs sind. Wie schafft das die Autorin? Im Prolog zeigt ein erster Parcours-Ritt durch den Irrsinn des Alltags, dass die Autorin Stephan mit dem Leser keine Wortklauberei betreiben oder vermeintliche philosophische Höhen oder Tiefen vermessen will, um die Sicht auf die Normalität zu eröffnen. Ihr Maßstab ist die Wirklichkeit, das reale Leben, Erkenntnisse aus der Naturwissenschaft und Erfahrungen aus der Geschichte. Mit abgeschlossenem Studium von Politikwissenschaft, Geschichte und Volkswirtschaftslehre, einer Promotion und Lehrauftrag an der Frankfurter Goethe-Universität schuf sich Cora Stephan eine solide Basis, um viele Jahre als Lektorin, Übersetzerin, Rundfunkmoderatorin und Journalistin zu arbeiten. In insgesamt fünf Kapiteln hält sie ein Plädoyer für das Denken und Verhalten der "normalen" Leute, die einem "normalen Job" nachgehen, das sind die Klempner und Bauarbeiter, die Bauern, die auf dem Feld und in der Viehzucht arbeiten, die Polizisten und Feuerwehrleute, Postangestellte und Paketlieferanten, das Pflegepersonal in Krankenhäusern und Altenheimen, Angestellte in Apotheken und natürlich auch akademische Berufe wie Ingenieure und Mediziner. Die Liste kann nicht vollständig sein, da sie komplett einfach nahezu unendlich lang ist. "Normal ist, was die Gewohnheit begründet, etwas das man nicht erklären muss. Auf das man sich verlassen kann. Normal ist das, was funktioniert, weil es sich im Laufe der Zeit bewährt hat. Das Wiederkehrende, das Alltägliche" (Seite 19). Und die Autorin bringt es auf den Punkt: Normal steht heute von zwei Seiten unter Druck: von denen, die ihre Verachtung für die Masse mit Identitätspolitik kaschieren wollen, und von denen, die als Minderheit das Normalsein für sich reklamieren. An anderer Stelle wird Stephan auch noch drastischer im Urteil, wenn sie darauf eingeht, was man in Zeiten der Corona-Krise lernen müsse. Menschen leben und reagieren seit Jahrtausenden nach ähnlichen Mustern und vieles, was seit etlichen Jahren in der medienvermittelten Öffentlichkeit verbreitet wird, ist nicht viel mehr als die Ausdünstungen der Dekadenz. Ist das Urteil zu krass? Nach meiner Meinung leider nein. Das Normalsein wird von manchem selbsternannten Meinungsführer und so manchem Dampf-Plauderer als Provokation angesehen, denn es sei eine bloße Norm, die willkürlich durch Macht und Gewalt festgelegt wurde. Aber biologisch gesehen ist die Zweigeschlechtlichkeit die normale Struktur der Menschen, die nicht einfach umgeändert oder umerzogen werden kann. Zur Fortpflanzung braucht es Mann und Frau, männlichen Samen und weibliches Ei - das "schmutzige Geheimnis" der Zweigeschlechtlichkeit. Und die Autorin zitiert den Evolutionsbiologen Axel Meyer: "Biologie ist keine Kränkung, (sondern) beschreibt schlicht Fakten unseres evolutionsbiologischen Erbes und ist mächtiger und nachhaltiger als jegliche Ideologie." Es ist gerade ein weiterer großer Vorzug des Buches, dass es allein auf rund 350 Anmerkungen und Quellen verweist und damit auch einen seriösen wissenschaftlichen Anspruch erhebt. An dieser Stelle und aus gegebenem Anlass eine Grußbotschaft zur Nutzung von Quellen an die verhinderte Promotions-Kandidatin Franziska Giffey, die übrigens in ihrem Bundesministerium heftig die LSBTIQ-Trommel schlägt und verspricht, diese Community zu stärken. Von ihren Aktivisten werden neuerdings mit wachsender Inbrunst die alten Kämpfe um Anerkennung wieder aufgenommen, konstatiert Stephan, dabei sei der Kampf in der freien westlichen Gesellschaft längst gewonnen. Allerdings wird aus einer Minderheit, so ein Resümee, auch bei größten Verrenkungen keine Mehrheit. Und manche Kämpfe an der queer Front sind nur noch bizarr (Seite 24). Gleiches gilt auch für die Identitätspolitik aller Art, die im Grunde paradox ist. Auf Unterschiede bestehen und zugleich Normalität reklamieren, indem neue Normen gesetzt werden sollen. Irgendwie geht die Rechnung nicht auf, vielleicht weil vieles so verdammt weltfremd ist. Die Autorin appelliert, wer Minderheiten nicht diskriminieren will, muss deshalb nicht gleich die Mehrheit diffamieren, die dafür nichts kann. Und deshalb ihr Vorschlag zur Güte: "Man sollte sich weder von einer Minderheit noch von einer Mehrheit vorschreiben lassen, wie man zu leben hat" (Seite 27). Schließlich macht die Autorin in ihrem Anfangskapitel "Was ist normal" auch keinen Bogen um das Thema "Populisten". Hier bewährt sich ihre kluge Herangehensweise, das Für und Wider fern aller Parolen abzuwägen, Denkanstöße zu geben und ihre Position deutlich zu machen. so wie hier: "Natürlich hat die Mehrheit nicht immer recht. - 'Millionen Fliegen können nicht irren, esst Scheiße!' ist ein alter Sponti-Spruch, der die Verachtung für die bloße Mehrheit anschaulich auf den Punkt bringt. Doch Mehrheitsentscheidungen sind das Funktionsprinzip der Demokratie, one man one vote gilt seit 100 Jahren auch für Frauen. Und es ist die Mehrheitsentscheidung die einfachste Art, wie Gesellschaften sich auf etwas einigen" (Seite 33). Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit dem "Krieg der Geschlechter". Selten war so viel von Sexualität die Rede wie in der Gegenwart, selbst im feministischen Diskurs, in dem die Behauptung eine große Rolle spielt, Geschlecht sei bloß ein soziales Konstrukt. Der Geschlechterkampf tobt, in dem Frauen Opfer und Männer Täter sind. Und mancher "Normalo" meint vielleicht, dass ihn dies alles nichts angeht, sowieso nicht interessiert, lass sie nur labern. Aber so einfach ist es leider nicht, wenn es z. B. um "Diverse" und das "dritte Geschlecht" geht. Der Kreis der Betroffenen in der Bevölkerung beträgt womöglich nur 0,002 Prozent. "Es geht also um eine winzige Minderheit ..., aber aus ihrem Schicksal einen Anspruch an die Allgemeinheit herzuleiten, ist widersinnig." Und oft sind es ja nicht einmal die Betroffenen selbst, die sich zu Wort melden, sondern "ihre Lobbyisten aus der akademischen Welt, die in der Dekonstruktion ihr Lebensthema entdeckt und zum Herrschaftswissen ausgebaut haben. Man hat ja sonst nichts gelernt" (Seite 52). Wenn dann allerdings Steuer-Geld fließt, um in Berliner Schul- und Verwaltungsgebäuden Unisex und Divers-Toiletten für das dritte Geschlecht einzuführen, anstatt dort Sanierung und Modernisierung voranzutreiben, hört für viele Normale der Spaß auf. Gerade beim Krieg der Geschlechter sind, wie die Autorin auflistet, eine wachsende Zahl von Kriegsschauplätzen eröffnet worden, angefangen von der Ehe für alle und der Rolle der Hausfrau bis zum Thema Gleichberechtigung und der Verurteilung des toxischen Mannes. Hochbrisanten politischen Sprengstoff beinhalten dann die folgenden Kapitel "Heimat" und "Das Eigene und das Fremde". Hier begibt sich Cora Stephan in einen schon viele Jahre geführten Diskurs um deutsche Geschichte und Kultur, der von der einstigen Beauftragten der Bundesregierung Aydan Özogus in dem bekannten Kernsatz zusammengeführt wurde: Darin bescheinigt sie dem Land, "eine spezifische deutsche Kultur" sei "jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar" (Seite 136). Diese und andere eigentlich völlig widersinnigen Wertungen werden im Buch unaufgeregt und klug hinterfragt, abgewogen, für zu leicht eingeschätzt und zum Teil als Kopfgeburten des akademischen Milieus enthüllt. Den Schlusspunkt setzt Cora Stephan, indem sie eine aufkommende Diktatur der Moral in der Gesellschaft beschreibt. Das beginnt bei dem Betroffenheitskult. Denn: "Wer sich auf die Menschheit bezieht, auf die Gattung, auf die Natur, auf die Rettung der Welt oder des Klimas, macht sich unangreifbar" (Seite 183). Und sie formuliert zugespitzt: "Die heutige cancel culture erinnert fatal an die Schauprozesse des Stalinismus. Wer sich gegen die aktuell politisch korrekten Sprech- und Denkweisen vergeht, muss öffentlich und möglichst kniefällig Abbitte leisten." Ist der Vergleich wirklich statthaft, schließlich werde ja niemand erschossen. "Aber Stellung und Ansehen sind hin und der soziale Tod ist auch nicht sonderlich erfreulich" (Seite 184). Und der normale Leser findet eine Fülle von Argumenten zum Globetrotter Covid 19, zu den Visionen der großen Transformation und unzähligen Maulhelden in den Medien. Angesichts dieser im Buch geschilderten dramatischen teils hysterischen Situation findet die Autorin einen kaum erwarteten optimistischen Ausblick. Weil die Normalen fürs Überleben weit wichtiger sind als die Paradiesvögel, auch wenn wir auf sie ungern verzichten. Also lautet der Aufruf an den Leser: "Bleiben Sie wie sie sind: normal. Es ist völlig normal, normal zu sein." Übrigens sollte man das Buch auch als Pflichtlektüre für junge Frauen empfehlen, bevor sie sich auf ein Gender-Studium einlassen. Vielleicht sind sie noch zu retten.

Cora Stephan, Lob des Normalen. Vom Glück des Bewährten. Finanzbuch-Verlag, 240 Seiten, 16,99 Euro

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

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