Wem kann man noch trauen?

Der ultimative Buchautoren Tipp: Peter Scholl-Latour, Mathias Bröckers, Albrecht Müller.

Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures

In Zeiten des Krieges wird über den Krieg geredet. Manche scheuen schon das Wort, viele wollen das Thema umgehen und es verdrängen. Aber das gelingt kaum. In den Massenmedien ist es derzeit ständig präsent. Aber selbst, wenn die Zeitung ungelesen, Radio und Fernseher ausgeschaltet und der Laptop und das Handy aus der Hand gelegt werden, erscheint das Thema Krieg in der Ukraine wieder. Hast Du dieses in der Zeitung gelesen …? Hast Du davon in den Fernsehnachrichten gehört …? Als ich neulich mit einem Bekannten kurz ins Gespräch kam - worüber schon - hörte ich seine Klage: In Kriegszeiten ist die Wahrheit das erste Opfer. Wo kann ich mich denn schon wahrheitsgetreu über das gesamte Kriegsgeschehen, über seine Ursachen und Gründe, über den Verlauf und die Ziele der Kriegsparteien informieren? In den Mainstream-Medien existiert scheinbar nur eine Meinung. In Internet-Zeiten gibt es jetzt in den sozialen Medien auch andere zum Teil konträre Meinungen, eine Gegenöffentlichkeit. Aber dann stehen viele vor dem Dilemma: Wem kann man noch trauen?

Zunächst einmal muss man zur Kenntnis nehmen: Ein noch viel zu großer Teil der Menschen in Deutschland steht gar nicht vor dieser Frage, weil sie im Grunde nur Informationen, Wertungen und Positionen kennen, die unter dem Einfluss massiver Propaganda-Richtlinien veröffentlicht werden - von der Regierung, den Parteiführungen aus dem Bundestag, den NATO-Sprechern, den Nachrichten-Agenturen und den lautstarken Kommentaren von unzähligen Leitartiklern. Es ist deshalb ein Gebot des demokratischen Systems und des Grundgesetzes, sich allseitig zu informieren, sich selbst eine Meinung zu bilden - vor allem, wenn es um Krieg und Frieden, letztlich im Atomzeitalter um das Überleben der Menschheit geht.

Doch noch einmal zurück zur Frage, die nicht wenige bewegt. Welchen Fakten und Information, welchem Urteil kann man trauen? Unvergessen sind die vielen Kriegslügen wie beispielsweise die so genannte Brutkastenlüge. Darin wurde behauptet, dass irakische Soldaten bei der Invasion in Kuwait im August 1990 kuwaitische Frühgeborene aus Brutkästen gerissen, auf den Boden geworfen und getötet hätten. Diese Erfindung von einer US-amerikanischen PR-Agentur begleitete propagandistisch den zweiten Golfkrieg der USA unter dem Präsidenten George Bush Sr. Als Begründung der Invasion des Iraks im Jahr 2003 benannten die kriegsführenden Regierungen der USA und Großbritanniens die wachsende akute Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen des Irak und eine Verbindung mit dem Terrornetzwerk Al-Qaida, begleitet von entsprechendem Mediengetöse. Bis 2007 widerlegten zahlreiche Untersuchungsberichte alle genannten Kriegsgründe. Einer im Jahr 2013 veröffentlichten USA-Studie zufolge starben während des Irak-Krieges und der anschließenden Besatzung eine halbe Million Iraker an den Folgen des Krieges. Wem kann man noch trauen? Wie im privaten Bereich ist auch das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit von Politik und Medien vorrangig von den agierenden Personen abhängig. Welche Politiker und welche Medien vertreten eigentlich meine ureigensten Interessen und die meiner Mitmenschen, ein auskömmliches Leben in einer dauerhaften stabilen Friedensordnung zu führen? So lautet das alte Bonmot, frage nicht die wohlig im großen feuchten Morast lebenden Frösche, ob und wie man die Schlammlandschaft entwässern kann. Und auch von Rüstungskonzernen und ihren Lautsprechern sind keine Antworten zu einem Frieden ohne Waffen zu erwarten.

Es ist für den Interessierten und Neugierigen nicht schwierig, in den sozialen Netzen eine andere Sicht auf den Krieg in der Ukraine zu finden. Aber gibt es solche Personen, die aufgrund ihrer Persönlichkeit das Vertrauen einer Mehrheit der Menschen besitzen, so dass ihre Fakten und Einschätzungen in die Meinungsbildung zum Krieg einfließen können? Wohl jeder, der etwas länger darüber nachdenkt, wird auf solche Personen stoßen. Ich will hier nur drei solcher Vertrauenspersonen aufführen.

Da ist zuallererst Peter Scholl-Latour zu nennen, der auch international hoch anerkannte Globetrotter und Grandseigneur des Journalismus. Jahrzehnte lang war der politische Sachautor gern gesehener Publizist in Fernsehtalkshows. Er zählt zu den unbestechlichen Beobachtern des Weltgeschehens und ist auch ein Chronist der Implosion der Supermacht Sowjetunion. Er schrieb im Jahr 2007 das Buch "Russland im Zangengriff - Putins Imperium zwischen Nato, China und Islam" im Ullstein Verlag, Spiegel-Bestseller mit mehr als einem Dutzend Nachauflagen. Ein Kapitel in diesem Buch ist der Ukraine gewidmet. Es trägt den Titel "Verfaulte Orangen". Der Titel bezieht sich auf den durch die USA-Politik maßgeblich geförderten und letztlich gescheiterten Regime-Change durch eine so genannte Farbrevolution in der Ukraine. Das alles spielte sich vor mehr als einem Dutzend von Jahren ab. Schon damals waren vorbereitende Maßnahmen für die Integration der Ukraine in die NATO längst im Gange. "Die ukrainische Armee wird mit Hilfe von amerikanischen und auch einigen deutschen Offizieren auf NATO-Standard umgestellt." Das Kapitel hat insgesamt 32 Seiten, die zur Meinungsbildung über den Ukraine-Konflikt einen hilfreichen Beitrag leisten können.

Mathias Bröckers ist ein Urgestein des grundsoliden und engagierten Journalismus in Deutschland. Er gehört zur Gründergeneration der TAZ. Er lieferte auch internationale Bestseller. Legendär ist das mit Paul Schreyer verfasste Buch "Wir sind die Guten - Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren" vom Westendverlag aus dem Jahr 2014. Das Credo der Autoren wird bereits im Klappentext des Buches vorangestellt. "Denn je boshafter, hitlerartiger Putin in den Medien porträtiert wird, desto wichtiger wird ein nüchternes und realistisches Verstehen - nicht durch psychologisierende Spekulation über eine Person, sondern durch politische Analyse, nicht durch einseitige Ideologie, sondern durch ein möglichst objektives Erkennen der Lage." Dieses Buch richtet sich gegen die Stimmungsmache, mit der sich große Teile der Medien im Konflikt mit der Ukraine von ihrer Verpflichtung zur objektiven Information verabschiedet haben. Sie lassen die Wirklichkeit als Schwarzweißfilm mit eindeutiger Rollenverteilung in "Die Guten" (NATO, USA, EU) und "Die Bösen" (Putin und Russland) ablaufen. Wer sich mit kritischem Bewusstsein ausrüsten will, sollte zu diesem Buch greifen. Im Jahr 2019 erschien eine erweiterte Auflage unter dem Titel "Wir sind immer die Guten - Ansichten eines Putinverstehers oder wie der Kalte Krieg neu entfacht wird" Siehe auch ein Interview mit Mathias Bröckers hier.

In den letzten Jahren ist der Bestsellerautor und Publizist Albrecht Müller mit seiner Herausgeberschaft der NachDenkSeiten zu einer demokratischen Institution geworden. Der erfahrene Publizist leitete 1972 Willy Brandts Wahlkampf und die Planungsabteilung unter den Kanzlern Brandt und Schmidt. Zu der Vielzahl seiner veröffentlichten Bücher zählt auch der Spiegel-Bestseller "Glaube wenig, Hinterfrage alles, Denke selbst - Wie man Manipulation durchschaut" aus dem Jahr 2019.

In einem Kapitel mit der Überschrift "Von der Friedenspolitik zur neuen Konfrontation in Europa" geht er sehr prägnant auf die Situation in der Ukraine ein. Viel umfassender und nahezu tagesaktuell wird auf seiner von ihm initiierten Website besonders in Leserbriefen eine glaubwürdige und ernsthafte Diskussion geführt über den jahrelangen Konflikt und nun den schrecklichen Krieg in der Ukraine. Wem kann man denn in Kriegszeiten noch trauen, ob eine Information der Wahrheit entspricht oder gefälscht ist? Gibt es mehrere Wahrheiten? Oder sollte man sich auf das viel zitierte Zitat von Peter Scholl- Latour zurückziehen? Er sagte in einem seiner letzten Interviews: "Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung." Bei der Beantwortung dieser Fragen ist immer hilfreich zu erfahren, wer oder was sind die Quellen der Information, was weiß man über sie und gibt es eine Spur des Geldes? Auch solche Netzfunde wie der Auszug einer Rede des US-Strategen George Friedman aus dem Jahr 2015 kann für die Meinungsbildung hilfreich sein. Wem kann man trauen? Die Antwort darauf muss jeder für sich selbst finden. Dabei gilt beständig das Motto: Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst. Viel Spaß beim Hinterfragen und selbst Denken.

Nachtrag

Der Journalist Peter Scholl-Latour hat in seinem hier im Text bereits erwähnten Buch aus dem Jahr 2007 "Russland im Zangengriff" auch in einem Kapitel eine Recherchefahrt durch die Ukraine und den Donbass unternommen. Auf der letzten Seite seines Buches lässt er Kraftfahrer Wladimir zu Wort kommen: "Wie weit wollen die Amerikaner denn noch mit ihrem NATO-Bündnis nach Osten vordringen, und welche Feindschaft gegen Russland tragen sie hier aus? Ihr Deutschen habt in diesem Raum doch ausreichend bittere Erfahrungen gesammelt. Warum macht Berlin diese unsinnige Politik mit? Die Deutschen sollten es doch besser wissen. Habt ihr denn ganz vergessen, dass 300 Kilometer von dem Punkt entfernt, an dem wir jetzt stehen (Lugansk - der Autor) eine Stadt an der Wolga liegt, die einst den Namen Stalingrad trug?"

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

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