Wenn der Tourismus aufhört - dann hört alles auf

Es vergeht keine Woche, in der deutsche Politiker nicht in eindringlichen Worten mahnen, auf Urlaub zu verzichten, ja auch auf Tagesausflüge oder Verwandtenbesuche.
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures

Verbote werden erteilt - ohne Aussicht auf Lockerungen oder eine Perspektive: Übernachtungsverbote, Theaterverbote, Ski-Verbote, Versammlungsverbote. Wann kommen die Berufsverbote? Ach ja, die sind ja de facto schon längst da. All diejenigen, die zum Thema Corona eine andere Meinung haben und eine andere Politik diskutieren wollen, werden in typisch deutscher Großmannssucht gemaßregelt. Doch damit nicht genug. Gleichzeitig werden die Folgen für den Tourismus, die Hotelier-, Gastwirtschafts- und Kulturbranche samt ihren Millionen Beschäftigten ausgeblendet, schöngeredet oder sogar grob verfälscht dargestellt. Was sagen die Fakten zum Tourismus wirklich? Dazu wird der Leser - wie bei anderen der Regierung lästigen Themen - kaum mehr in den deutschen Staatsmedien fündig und muss internationale Quellen heranziehen. Der globale Tourismus Markt weist Stand November 2020 den Verlust von 142 Millionen Jobs weltweit aus, von geschätzt 330 Millionen Beschäftigten vor Corona. Davon in Asien 87,4 Millionen und in Europa als der am zweitstärksten betroffenen Region 18,8 Millionen. Die neue Marktvorschau von McKinsey geht von einer Zeitspanne von sieben Jahren aus, bis die Tourismus-Industrie wieder auf dem Vorjahresniveau angekommen sein wird. Und eine OECD Studie sagt voraus, dass mehr als 50 Prozent der kleinen und mittleren Tourismus Unternehmen die Krise nicht überleben werden. Ein Einschnitt in dieser Größenordnung wird eine Erholung der Branche weit hinter alle bisher errechneten Worst Case-Szenarien zurückwerfen. Und noch einmal im Klartext: 142 Millionen Menschen haben ihren Job bereits verloren, und damit ihre Existenzgrundlage. Aber auch zu dieser ungeheuerlichen Situation wird zumeist in den Mainstream-Medien nur der beschwichtigende Zeitgeist bedient unter dem Motto, dass "Einheimische in Urlaubsregionen mal ein bisschen weniger am Tourismus verdienen", und außerdem sei es wahrlich "nicht so schlimm, einmal auf einen Urlaub zu verzichten". Eine solche Position ist an Arroganz und Zynismus besonders gegenüber den Betroffenen in den Reise-Destinationen kaum zu überbieten! Das Beispiel der Malediven steht nur als eines von vielen Dutzend betroffener Länder. Seit Jahrzehnten sind die Malediven der Inbegriff einer gelungenen Wirtschaftsentwicklung mit dem Tourismus. Sie gehörten noch bis 1980 zu den zwanzig ärmsten Ländern der Welt (!). Seitdem erfreuen sie sich eines robusten Wachstums, in Verbindung mit der Entwicklung der Reisewirtschaft, der Industrie und der Infrastruktur. Die Erlöse aus dem Tourismus flossen in die Bildung, das Gesundheitswesen und in den Dienstleistungssektor, der qualitativ hochwertige und erschwingliche öffentliche Leistungen für seine Bevölkerung bereitstellt. Die Malediven haben heute eine Alphabetisierungsrate von nahezu 100 Prozent und eine Lebenserwartung von über 78 Jahren. Sie stehen heute auf Platz 101 von 189 Ländern, gemessen am Wohlstands-Indikator HDI der Vereinten Nationen, dem zweithöchsten HDI-Platz in Südasien. Als Touristen haben wir im Jahr 2018 den Stolz der Bevölkerung auf das Erreichte auf der kleinen Insel Dhangethi erlebt, als ein Guide uns durch den Ort führte und die Schule, das Hospital, den Kindergarten, die Wasseraufbereitungsanlage und natürlich die Shops und Cafes zeigte. Im März dieses Jahres kam der Tourismus vollkommen zum Erliegen. Und da 70 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt vom Tourismus abhängig sind, hat das Ausbleiben der Touristen weitaus verheerendere Auswirkungen als der Tsunami von 2004 und die globale Finanzkrise von 2008. Es wird erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um mehr als 30 Prozent schrumpft mit weitreichenden Folgen für die Bevölkerung. Die Malediven haben im Juli 2020 wieder alle Einreisebeschränkungen aufgehoben, um den Absturz zu bremsen. Die Resorts öffneten wieder im Oktober und November und führten ihrerseits beispiellose Sicherheits- und Gesundheitsmaßnahmen ein. Neben den allgemein üblichen Hygieneregeln bieten sie kostenlose PCR Tests an, führen tägliches Fieber-Screening durch, oder haben auf papierloses Arbeiten umgestellt, mit online Check-In und digitalisierten Speisekarten. "Wir tun alles Mögliche, um unsere Insel COVID-frei zu halten", sagt Jason Kruse, Leiter des Resorts in Amillafushi im Baa Atoll in einem Interview mit Al Jazeera. "Sobald unsere Gäste beim zweiten Test ein negatives Ergebnis erhalten, können sie maskenfrei auf der Insel herumwandern". Und Tourismusminister Abdulla Mausoom ergänzt: "Die Malediven brauchen den Tourismus. Wenn der Tourismus aufhört, hört alles auf. Wir sind zuversichtlich, dass wir die Sicherheit unserer Gäste gewährleisten können - weil unsere Geographie uns dies ermöglicht. Sie landen einfach am Flughafen und werden von einem speziell für Ihr Resort bestimmten Transportmittel abgeholt und genießen einen sehr privaten und sehr sicheren Aufenthalt. Es gibt keinen Ort, der sicherer ist." Die Malediven hatten den Höchststand an Infektionen im Juli und August dieses Jahres und auch da waren die Krankheitsfälle fast ausschließlich auf die Hauptstadt Male beschränkt. Am 17. Juli hat Deutschland eine Reisewarnung für die Malediven ausgesprochen. Die Malediven investierten in Test-Zentren, Intensivbetten und Hygienemaßnahmen. China, Japan und Indien stellten materielle Hilfen bereit und schickten medizinische Fachkräfte auf die Insel. Seitdem gehen die Infektionszahlen kontinuierlich zurück. Am 15. September bescheinigte der World Travel and Tourism Council den Malediven ein sicheres Reiseziel zu sein. Und was machen die Regierungspolitiker in Deutschland? Sie halten wider besseren Wissens ihre völlig unverhältnismäßigen Reisewarnungen aufrecht - und tragen damit direkt Mitschuld am Absturz der Malediven und an dem neuen Elend in all den Ländern, in denen wir als Touristen bisher willkommen waren und auch weiterhin sind. Schon in den nächsten Monaten ist das schlimmste zu befürchten: Die Rating-Agentur Fitch hat Anfang November die Kreditwürdigkeit der Maledivenauf "CCC" heruntergestuft. Ein leitender Angestellter eines Resorts in maledivischem Besitz malt gegenüber Al Jazeera ein düsteres Bild: "Wir mussten bereits im September Angestellte entlassen oder die Gehälter kürzen. Wenn sich die Lage bis Januar nicht bessert, müssen wir die Hotels schließen und im November nächsten Jahres wieder öffnen". Immerhin, 35.759 Urlauber, davon 2.087 aus Deutschland, haben es im November gewagt, auf die Malediven zu fliegen, gegenüber 137.190 Urlaubern im November des Vorjahres. Ein kleiner Lichtblick für das gebeutelte Land. Es ist allerhöchste Zeit für die Politik zu handeln. Und die Bevölkerung in Deutschland wie ganz Europa sollte nicht allein die katastrophalen Auswirkungen der unverhältnismäßigen Maßnahmen ihrer derzeitigen Coronapolitik vorrangig im eigenen Land registrieren. Zugleich ist es notwendig, über den eigenen Balkon hinauszusehen, um zu erkennen, welches Elend damit hervorgerufen wird: eben nicht allein in den einheimischen Tourismus-Regionen, sondern konkret auf den Malediven und in vielen anderen Teilen der Welt. Eine Aufhebung der völlig unverhältnismäßigen Reisewarnungen ist das Mindeste - und es ist notwendig - JETZT!

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

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