Ei, das sind ja meine Ruppiner - Eine Garnisonsstadt wird ausgestellt

Wer von der Berliner Autobahn kommt und dann von der Abfahrt Süd in das Zentrum Neuruppins hinein fährt, stößt in der Franz-Künstler-Straße direkt auf das Wahrzeichen der märkischen Kleinstadt.

Foto von Ronald Keusch
Foto von Ronald Keusch

Hier sitzt auf einer Bank, erhöht auf einem Granit-Sockel, die lebensgroße bronzene Figur eines Wanderers. Er hat seinen Wanderstock beiseite gelegt, leger die Beine übereinander geschlagen und noch einen Stift in der Hand. Der berühmte Schriftsteller und Dichter Theodor Fontane ist hier geboren und nur wenige hundert Meter entfernt an der Hauptstraße steht die Löwenapotheke, sein Elternhaus. Mit seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" und vielen weiteren Werken wie seinem Spätwerk "Der Stechlin" hat er seiner Heimatregion selbst ein Denkmal gesetzt. Neuruppin hat den Namen des berühmten Literaten übernommen, nennt sich seit vielen Jahren schon Fontane-Stadt und feierte 2019 erfolgreich das Fontane-Jubiläum auch mit Ausstellungen. Wie mit Fontane im 19. Jahrhundert ist der Ort Neuruppin auch unverwechselbar mit der Geschichte seiner Garnisonen verbunden, die hier mehr als 300 Jahre beherbergt wurden. Sie prägten die Stadtentwicklung und sind zugleich interessante Seiten in einem deutschen Geschichtsbuch. Welch eine Chance, darüber eine Ausstellung zu konzipieren und schließlich aufzubauen.

Die Stadt hat das große Glück, dass sich Neuruppiner gefunden haben, die mit Leidenschaft und Kompetenz eine solche Ausstellung Wirklichkeit werden lassen. Alles ehrenamtlich, ohne irgendwelche Zuschüsse (!). Da ist zum einen der "Stammtisch Ruppiner Geschichte". Ihm gehören mehr als zwei Dutzend Neuruppiner an, die in ihren Berufen und auch in ihrer Freizeit sich mit der Regionalgeschichte beschäftigten. Dazu gehören beispielsweise Peter Pusch, Herausgeber und Inhaber des Regionalverlags Ruppin oder der frühere langjährige Stadtarchitekt von Neuruppin, Karl-Ulrich Wahnschap, der sich unter anderem mit der Sanierung der Altstadt und dazu dem Thema des Denkmalschutzes befasste und beschäftigte. Und da ist zum anderen in der Poststraße mitten in der Altstadt die Gaststätte "Klosterhof". Sie wird seit 20 Jahren von dem studierten Sozialpädagogen Marco Leppin auf einem großen Familien-Grundstück von etwa 2.500 Quadratmetern betrieben. Hier hat sich der handwerklich begabte und an Geschichte interessierte Leppin einen Platz für Ausstellungen geschaffen. Bereits vor zehn Jahren erfüllte er sich einen Traum. Er richtete eine alte Tischlerwerkstatt aus seinem Kietz neben dem Klosterhof liebevoll wieder her. Seitdem finden hier kleine wechselnde Ausstellungen regelmäßig zur Weihnachtszeit statt z. B. über Märchen der Gebrüder Grimm.

Erstmalig fanden der Ruppiner Stammtisch und der von Geschichte begeisterte Gastwirt Leppin im letzten Jahr zusammen. Da wurde eine Ausstellung zum Fontane-Jubiläum in Räumlichkeiten des Klosterhofs präsentiert mit dem originalgetreu nachgebauten Schreibtisch von Theodor Fontane. Insgesamt kamen 6.000 Besucher, ein großer Erfolg. Seit Sonntag, dem 2. August, ist im Klosterhof in den Räumen der Traditions-Tischlerwerkstatt die Ausstellung "Geschichte der Garnison Neuruppin" eröffnet. Es werden 16 Tafeln und Exponate in zehn Vitrinen gezeigt. Die jeweiligen Kuratoren der Tafeln sowie die Foto-Autoren sind in einer Fußnote am unteren Rand der Tafeln aufgeführt. Zu den bekannten Verbänden der preußischen Armee zählt das 1813 gegründete Infanterieregiment Nr. 24, das seit 1820 seinen Standort in Neuruppin hatte und wo anfangs die Soldaten noch in Privathäusern, sogenannten Bürgerquartieren, untergebracht waren. Später wurden große Kasernengebäude errichtet. beispielsweise die Königstorkaserne, die heute noch meist von Ämtern und Behörden genutzt werden. Dieses Regiment nahm an allen großen Kriegen der Preußen teil und wurde im Jahr 1918 am Ende des 1. Weltkrieges aufgelöst. Andere Verbände marschierten im 2. Weltkrieg gegen Osten und haben dann mit der Niederlage von Nazideutschland 1945 unfreiwillig ein weiteres Kapitel der Neuruppiner Garnisonsgeschichte aufgeschlagen. In Neuruppin wurde ab Mai 1945 eine der größten Garnisonen der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland eingerichtet. Auch dazu findet der Besucher zwei Ausstellungstafeln. Während die Anwesenheit von 15.000 Militärangehörigen in und um Neuruppin nicht übersehbar war, gehörten die Startrampen der Raketentruppen in Gentzrode nördlich von Neuruppin zu einem lange gehüteten Geheimnis.

Ich treffe in der Ausstellung meinen Russisch-Lehrer Harry Reide, Jahrgang 1924, aus meiner Oberschulzeit. Er überlebte als junger Wehrmachtsoffizier drei Jahre Russlandfeldzug und fünf Jahre Kriegsgefangenschaft, um dann drei Jahrzehnte als Russisch-Lehrer in der Fontane-Oberschule Neuruppin zu arbeiten. Er hatte enge Kontakte zum Direktor der sowjetischen Schule. Mit seinen Schülern führte er das Tschechow-Stück "Der Heiratsantrag" in russischer Sprache auf und trat mit einem Chor auf, der russische und deutsche Lieder vor hunderten Soldaten vortrug. Er gründete Sprachzirkel, organisierte Feste der russischen Sprache und seine Schule war bei Russisch-Olympiaden in Potsdam immer vorn dabei. Er organisierte für seine Schüler Reisen mit Jugendtourist nach Moskau, auch ich und einige meiner Klassenkameraden durften dabei sein.

"In der heutiger Zeit, wo manche glauben, dass sie viele Denkmäler aus verschiedenen Epochen vom Sockel stoßen müssen, zeigen wir ein Stück der Geschichte von Neuruppin, deren Entwicklung ohne die verschiedenen Garnisonen nicht so möglich gewesen wäre," so der Ausstellungsmacher Marco Leppin. Sicher kann sich nicht jeder der Neuruppiner und der Besucher der Stadt mit dem Thema anfreunden. So fand der Neuruppiner Bürgermeister Jens-Peter Golde keine Zeit, zur Eröffnung der Ausstellung in den Klosterhof zu kommen. Das Museum in Neuruppin stellte der Ausstellung im Klosterhof immerhin acht Vitrinen zur Verfügung, wo unter anderem eine Sammlung von Zinnsoldaten zu sehen ist. Vielleicht der Beginn einer Zusammenarbeit in der Regionalgeschichte. Mancher Zeitgenosse möchte lieber die heile Welt von Friedrich dem Großen feiern, so mutmaßt Peter Pusch. Vielleicht, so meint mancher, als junger Offizier, der im Tempelgarten Obst anpflanzt. Die Kuratoren der Ausstellung vermieden es, eine Schau der berühmten Schlachten preußischer Regimenter zu zelebrieren, beispielsweise zur Reichs-Einigung von 1864 bis 1871. Der Bezug ist immer die Entwicklung der Stadt Neuruppin, die die Garnison verpflegt, bekleidet und für sie Quartiere gebaut hat. Als Neuruppin vor 150 Jahren etwa 10.000 Einwohner besaß, aber in der Regel 2.000 Militärangehörige in der Stadt, hatte das schon Gewicht. Für etwas Zeitgeist und Blick auf die Wirklichkeit im 19. Jahrhundert sorgt wieder einmal der berühmteste Neuruppiner Theodor Fontane, der auf einer Ausstellungstafel mit einigen seiner Zeilen vom Dezember 1864 über den Einzug des Ruppiner Regiments zitiert wird:

Wer kommt? Wer? -
Hurra, die Vierundzwanziger.
Guten Tag, guten Tag und
gehorsamster Diener!
Ei, das sind ja meine Ruppiner;
Flinke Kerle ohne Flattusen,
Grüß Gott dich,
Görschen und Brockhusen! -
Möchte manchen von Euch umhalsen.
Düppel war gut, besser war Alsen, -
´s war keine Kunst,
Euch half ja die Fee,
die Wasserfee vom Ruppiner See.

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

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