Ein gut gealterter Klassiker

Erfolgreiche Premiere im Schlosspark Theater "Eines langen Tages Reise in die Nacht" von Eugene O‘Neill.

Foto von Schlosspark Theater/DERDEHMEL/Urbschat
Foto von Schlosspark Theater/DERDEHMEL/Urbschat

In das Theaterjahr 2023 mit einem unüberhörbaren Paukenschlag in Berlin starten, welche Theaterbühne will das nicht. Gelungen ist das dem Schlosspark Theater in Steglitz mit der Aufführung eines der Klassiker unter den Dramen, dem Theaterstück "Eines langen Tages Reise in die Nacht" von Eugene O’Neill (1888 - 1953). Dem amerikanischen Dramatiker und Nobelpreisträger für Literatur gelang es, Techniken des Realismus in seine Dramen einzuführen, die die Fachwelt an die früheren Dramatiker Tschechow aus Russland, Strindberg aus Schweden und Ibsen aus Norwegen erinnerten. Sein Familien-Drama im Originaltitel "Long Day`s Journey Into Night" steht ganz weit vorn auf der Liste der besten US-Stücke des 20. Jahrhunderts. Das Theater-Stück wurde auf den Wunsch von Eugene O’Neill erstmalig posthum im Jahr 1956 aufgeführt. Das ist nicht verwunderlich, denn schließlich trägt das Stück autobiografische Züge und in der Figur des einen Sohnes Edmund ist unverkennbar der Autor selbst zu erkennen.

Dieses Theaterstück spielt an einem einzigen Tag vom Frühstück bis zum späten Abend und der Inhalt des Dramas ist schnell erzählt. Es wird das Leben und Leiden der Familie Tyrone gezeigt. James Tyrone, Schauspieler in der Provinz, der sich nebenbei als Grundstücksspekulant versucht und seine Frau Mary, frühere Schönheitskönigin, die ihn auf seinen Tourneen begleitet, streiten ständig mit ihren Söhnen Jamie und Edmund. Sie verstricken sich immer wieder in Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Der Vater wie auch seine beiden Söhne sind alkoholabhängig, die Whisky-Flasche kreist in nahezu jeder Szene. Dabei steht fortgesetzt das Thema im Raum, der Mutter Mary die Erkrankung von Edmund an Tuberkulose zu verbergen. Die Mutter wiederum flüchtet sich in Tagträume mit ihrer Morphium-Sucht, die sie vor ihrer Familie verbergen will, was ihr jedoch nicht gelingt. Das ist wahrlich kein beschauliches Bühnenstück zum Kuscheln. Der Dramatiker O’Neill soll über sein erst nach seinem Tod gespielten Stück gesagt haben, es sei geschrieben mit "Blut und Tränen, geboren aus frühem Schmerz". Es ist zweifellos ein scharfer realistischer Blick auf die amerikanische Gesellschaft, dem immer wieder im Verlauf des Stückes das Thema der Täuschung und der Selbsttäuschung entgegengestellt wird. Und wer hat nicht in seinem Leben solche Erfahrungen gemacht, wenn auch nicht in diesen drastischen Schicksalen der vorgeführten desillusionierten Personen. Mittlerweile haben sich Generationen von Psychoanalytikern an diesem Stück, seinem Autor und an der Thematik abgearbeitet. Das Publikum im ausverkauften Haus des Schlosspark Theaters sparte bei der Premierenvorstellung am 7. Januar nicht mit teilweise sogar enthusiastischem Beifall. Die Intendanz des Theaters mit Dieter Hallervorden hatte nicht nur den Mut, solch ein anspruchsvolles Stück zu inszenieren, sondern auch wieder eine sehr glückliche Hand bei der Auswahl der Schauspieler. Judith Rosmair als Ehefrau Mary und Peter Kremer als James Tyrone lieferten eine große schauspielerischer Leistung ab, genauso wie in den Rollen der Söhne Igor Karbus als James und Fabian Stromberger als Edmund. Es ist schon eine besondere Herausforderung zwei Stunden, nur mit einer Unterbrechung durch die Pause, nahezu durchgehend auf der Bühne zu agieren. Dabei immer wieder gefordert durch Gefühlsausbrüche der zu spielenden Person wie auch der Reaktion auf die der Mitspieler in der Szene.

Nicht zuletzt ist es vor allem dem Regisseur Torsten Fischer gelungen, dieses Stück für das Publikum des Jahres 2023 zu präsentieren. Der Spannungsbogen in den einzelnen Szenen blieb hoch, die von O’Neill geprägten Figuren wurden in ihrer psychologischen Tiefe mit ihren inneren Konflikten präsentiert, immer auch mit dem notwendigen Dosis Realismus. Gleichzeitig wurde die Abrechnung des Autors mit dem amerikanischen Traum nicht vordergründig plakatiert. Allerdings wird in starken Szenen die den Menschen entwürdigende Alkohol- und Drogensucht überzeugend angeprangert. Vor allem angesichts der morphiumsüchtigen Mary zieht man unwillkürlich die Parallelen zwischen dem American Way of Life und der heutigen Zeit, in der Drogen jeder Art durch die gegenwärtigen Reiter des Zeitgeistes schöngeredet werden. Leben wir in einer dekadenten Gesellschaft?

Schließlich haben zu dem Erfolg des Stückes der Bühnenbildner Herbert Schäfer und der Bühnen- und Kostümbildner Vasilis Triantafillopoulos beigetragen, die sozusagen zum Team des Regisseurs Schäfer gehörend, für die Aufführung engagiert wurden. Hier war zu bestaunen, wie mit minimalen Lösungen und Veränderungen im Szenenbild ein großer Effekt erzielt wurde. Die für mich sensationelle Gestaltungsidee ist ein bühnenhoher und mehr als die Hälfte der Bühnenbreite einnehmender Spiegel. Er ermöglicht dem Regisseur und seinen Schauspielern eindrucksvolle Blickeffekte, beispielsweise, wenn über eine vermeintliche Person auf der Szene gesprochen und hergezogen wird und diese Person bereits für den Zuschauer im Spiegel zu erkennen ist und dann das Gespräch über sich mit anhören muss.

Auf der kleinen Premierenfeier fragte ich den Schauspieler Peter Kremer danach, was ihn besonders an der Rolle des in die Jahre gekommenen viel Alkohol trinkenden Schauspielers Tyrone gereizt hat. "Es ist der Zwiespalt dieses Mannes zwischen dem, was er gerne gelebt hätte, seinen Träumen und dann die ganz andere Realität, die ihn umgibt. Damit muss er umgehen. Ich bin auch Schauspieler und muss mich ähnlichen Konflikten stellen. Aber natürlich ist es auch sehr reizvoll, solch eine Welt-Rolle in so einem berühmten Stück zu spielen", so Peter Kremer, der zwischen seiner Rede immer noch Autogramme für die Fans auf Porträtpostkarten und auf Programmhefte schreibt. Übrigens verdienen die Macher des Programmheftes ein großes Lob. Alle Schauspieler wie auch das Regieteam um Torsten Fischer werden nicht nur sehr detailliert und professionell vorgestellt, sondern geben hier ihre recht klugen Bemerkungen und interessanten Assoziationen zu dem O’Neill Stück wieder. Es fördert vor wie nach der Aufführung beim Publikum das tiefere Verstehen des Dramas.

Eine weitere Frage will ich Peter Kremer nicht ersparen. Kann dieses mehr als 60 Jahre alte Stück, dessen Handlung sogar laut Autor O’Neill im Jahr 1912 spielt noch die Herzen der Zuschauer erreichen? Auch angesichts der heutigen Medienlandschaft einschließlich Internet mit der bunten Palette mit all seinen Provokationen? "Ich bin sicher, dass dieses Stück, jahrzehntelang auf der Welt erfolgreich gespielt, auch heute noch ins Herz der Menschen trifft. Die behandelten Probleme sind einfach allgegenwärtig, sind immer da, ob der Ukraine Krieg geführt wird und die Corona-Pandemie ausgerufen wird. Jeder schleppt seine kleinen Päckchen mit durchs Leben, in jeder Familie kommen irgendwelche Probleme zum Vorschein - so ist das Leben." Und Peter Kremer unterstreicht, dass es kein Zufall sei, dass gerade dieses Stück weltweit so erfolgreich gespielt werde. Und sein Fazit: "Eines langen Tages Reise in die Nacht ist ein gut gealterter Klassiker." Dem ist nicht zu widersprechen.

"Eines langen Tages Reise in die Nacht" von Eugene O‘Neill steht bis zum 19. Februar an jedem Tag - außer montags - auf dem Spielplan, Beginn Dienstag bis Samstag 20 Uhr, Sonntag 16 Uhr.

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

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