Alarmstufe Roth - Hörst Du es flüstern im Land?

Stündlich unpünktlich ab kurz vor acht Uhr bis in den Abend und jedes Wochenende über Stunden, samstags, sonntags und feiertags, ist der Glockenturm Carillon in Berlin-Tiergarten weithin zu hören.

Aufsichtsratsvorsitzende der KBB und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne)
Aufsichtsratsvorsitzende der KBB und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne)

Selbst tief in der Nacht um null Uhr wurden Anwohnerinnen und Anwohner nicht verschont. Seit Jahren wird die Umgebung von diesem Turm aus mit unerwünschten und sinnlosen Glockenlärm durch eine einzelne Person malträtiert und das, wortwörtlich, mit aller Macht.

Bis hierhin wäre es nur ein lokales asoziales Lärmereignis unter dem Deckmantel von Kultur.

Daß dieser Glockenturm von der bundeseigenen Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH (KBB) nicht rechtskonform betrieben wird und die Aufsichtsratsvorsitzende der KBB die Kulturstaatsministerin ist, früher Monika Grütters (CDU), jetzt Claudia Roth (Grüne), macht die Sache jedoch brisant.

Denn laut Nachfrage bei Senat und Bezirk ist der keiner Kirche zugehörende Glockenturm entsprechend der Bau- und Betriebsbeschreibung zu nutzen. Und diese ist wortwörtlich zu nehmen, wie ein Berliner Staatsanwalt bestätigte. In dieser ist zu lesen, dass der Turm nur für den "manuellen Betrieb des Instruments in Form von unregelmäßig stattfindenden Konzerten" mit wechselnden "Carilloneuren" genutzt werden darf. Das aber geschieht, stündlich weit hörbar, eindeutig nicht.

Auch das Veranstaltungsverbot der "Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2" in der Fassung vom 22. März 2020 und darüber hinaus wurde - über Monate - von der KBB und dem im Turm tätigen "Carilloneur" ignoriert.

Zu diesen Vorgängen gingen allein im Sommer 2020 nachweislich mehrere Anzeigen von verschiedenen Personen beim Bezirksamt Berlin-Mitte ein. Zudem erhielt zum Betrieb des Glockenturms und den Rechtsbrüchen die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Mitte eine Bürgeranfrage. Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne), zu dieser Zeit auch Leiter des Ordnungsamtes, blieb trotz Kenntnis der Vorgänge untätig, antwortete gegenüber der BVV gar wahrheitswidrig, es sei nur ein Beschwerdeschreiben eingegangen und behauptete sinngemäß, alles wäre rechtens - ohne irgendeine nachvollziehbare oder rechtliche Grundlage für seine bloße Behauptung zu nennen. Die ständige Verletzung des Veranstaltungsverbotes der "Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2" ignorierte von Dassel zudem völlig.

Amtspflichtverletzungen, Behördenwillkür und Ignoranz lassen grüßen.

Dass das kulturferne, egoistische Vergnügen eines Einzelnen gegen den seit Jahren vielfach geäußerten Ärger von Anwohnerinnen und Anwohnern bei einem gegen Null gehenden Interesse der Öffentlichkeit trotzdem dauernd stattfindet, zudem nicht rechtskonform, zeigt, was man von Bürgerinnen und Bürgern hält.

So fördert die Beauftragte für Kultur und Medien (BKM) als Oberste Bundesbehörde unter Kulturstaatsministerin Monika Grütters, und nunmehr unter Claudia Roth, mit jährlich 25.000,00 Euro über die weisungsgebundene KBB den Glockenturm und den "Carilloneur". Trotz fehlender Auflistungen für Abrechnungen, die laut Honorarvertrag zwischen KBB und "Carilloneur" vorliegen müssten. Trotz nicht erlaubten "Privatkonzerten", die dennoch stattfanden und noch immer angeboten werden.

Mehr noch, der "Carilloneur" erhielt für ein sogenanntes "Carillon-Festival" 2017 zusätzlich eine Bundeszuwendung ("ZMV I 2 - 2517KE29C") über 51.000,00 Euro von der Beauftragten für Kultur und Medien. Diesmal nicht über die KBB GmbH, sondern persönlich. Für etwas, was im Grunde sowieso jedes Wochenende samstags, sonntags und feiertags stattfindet, was sich Anwohnerinnen und Anwohner ungewollt ständig anhören müssen und was mit jährlich 25.000,00 Euro bezahlt ist.

Dass das alles nicht so recht zusammenpasst, zeigen im Ausgabenplan zu der Bundeszuwendung "ZMV I 2 - 2517KE29C" auch zahlreiche Einzelpositionen, die Nachfragen geradezu provozieren. Wie etwa die darin enthaltenen 6.000,00 Euro für einen Schaukasten, welcher jedoch von der bundeseigenen KBB GmbH laut eigener Aussage für 1.150,00 Euro im Mai 2017 angeschafft wurde und im Verwendungsnachweis des "Carilloneurs" für das sogenannte "Carillon-Festival" später mit 3.108,39 Euro wieder auftaucht. Überhaupt, wozu erhält eine Privatperson 6.000,00 Euro "Förderung" für einen Schaukasten, der dann auch noch auf öffentlichem Grund aufgestellt wird und inzwischen alles andere als gepflegt aussieht?

Es gab mehr als reichlich Ansatzpunkte für Fragen an die Beauftragte für Kultur und Medien, Monika Grütters, damalig Kulturstaatsministerin und Aufsichtsratsvorsitzende der KBB. Legitime, offensichtlich dringend nötige Fragen, die sich auf den nicht rechtskonformen Betrieb und die Vorgänge rund um Glockenturm und KBB, auf Einzelpositionen im Ausgabenplan und auch auf den über einen IFG-Antrag erhaltenen Verwendungsnachweis bezogen. Dieser wurde vom hausinternen Staatsanwalt der Beauftragten für Kultur und Medien mit der Zeile zugesandt: "Der Informationszugang wird Ihnen gemäß § 10 Abs. 1 S. 2 IFG kostenfrei gewährt".

Aus den für die Aufsichtsratsvorsitzende Monika Grütters lästigen und politisch nicht ungefährlichen Pressefragen, die großteils bis heute unbeantwortet geblieben sind, machte die Beauftragte für Kultur und Medien einen "erweiterten IFG-Antrag". Und erließ für diesen einen rechtswidrigen Kostenbescheid über willkürlich gesetzte 200,00 Euro - was einem Angriff auf die Pressefreiheit gleichkommt, denn wohl wissend, dass es niemals einen erweiterten Antrag gegeben hat, sondern ausschließlich eindeutig deklarierte Pressefragen.

Mit weiteren 200,00 Euro beschied die Beauftragte für Kultur und Medien den umgehenden Widerspruch samt einer "Rechtsbehelfsbelehrung", dass "Klage bei dem Verwaltungsgericht Köln erhoben werden" könne. Die fast 60 Seiten starke Klage gegen die rechtswidrigen Kostenbescheide der Beauftragten für Kultur und Medien wurde im Oktober 2019 beim Verwaltungsgericht Köln erhoben, welches jedoch die örtliche Zuständigkeit anzweifelte und an das Verwaltungsgericht Berlin verweisen wollte.

Als würden Willkür und Rechtswidrigkeit zu den Kostenbescheiden nicht reichen, wollte die Beauftragte für Kultur und Medien die Frage der örtlichen Zuständigkeit, also wo verhandelt werde, beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster auf dem Klageweg klären lassen - mit dem Ziel, dass unbedingt in Köln verhandelt werde.

Dass die Vorgänge rund um den Glockenturm die Beauftragte für Kultur und Medien nicht interessiert, wohl aber, wo eine Klage gegen zwei rechtswidrig erlassene Kostenbescheide verhandelt werde, ist ein unerträgliches, aber auch entlarvendes Verhalten.

Den Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom Dezember 2020, dass das Verfahren zum Verwaltungsgericht Berlin verwiesen werde, akzeptierte die Beauftragte für Kultur und Medien, überraschend, dann doch, so dass die Klage im schriftlichen Verfahren in Berlin verhandelt werden konnte.

Im Februar 2022 "regte" das Verwaltungsgericht Berlin "dringend" an, die beiden Kostenbescheide aufzuheben, da sie "rechtswidrig" seien. Zudem gelte, dass für "ablehnende Amtshandlungen", also für den zweiten Kostenbescheid, Gebühren "nicht vorgesehen" seien. Weiterhin habe die Klage "überwiegende Erfolgsaussichten".

Im März 2022 hob die Beauftragte für Kultur und Medien ihre rechtswidrigen Kostenbescheide über insgesamt 400,00 Euro schließlich auf.

Der jetzigen Kulturstaatsministerin, Claudia Roth, kann man nur raten, insbesonders als Aufsichtsratvorsitzende der KBB, endlich Verantwortung zu übernehmen, den unseligen Glockenturm im besten Wortsinne stillzulegen und sich von diesem toxischen Erbe ihrer Vorgängerin zu befreien.

Um es mit Ton Steine Scherben zu sagen: "Hörst du es flüstern im Land? Halleluja, der Turm stürzt ein". Nur, dass inzwischen zu Recht niemand mehr flüstern wird.

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