Das Prinzen-Trauma

Brigitte Menge im Gespräch mit Marie-Luise Schwarz-Schilling für das Magazin CHEXX über Gleichberechtigung, glückliche Beziehungen und Weltbilder.

Marie-Luise Schwarz-Schilling
Marie-Luise Schwarz-Schilling

Die tägliche Schreibtischarbeit ist für Marie-Luise Schwarz-Schilling genauso selbstverständlich wie das Lesen der Tageszeitungen und das Brühen des grünen Tees, auf dessen Gesundheitswirkung sie schwört. Die heute 85-jährige war eine der ersten Frauen der jungen Bundesrepublik, die als Unternehmerin Karriere machten. Bereits ein Jahr nach ihrem Examen übernahm die Diplom-Volkswirtin die väterliche Akkumulatorenfabrik "Sonnenschein" mit etwa 1.000 Beschäftigten. Spätestens hier begann sie sich für die Gleichberechtigung zu engagieren - ein Thema, das sie Zeit ihres Lebens begleitete. Neben ihrem Buch "Kampfplatz Liebe - wie viel Gleichberechtigung verträgt die Partnerschaft?" hat sie zahlreiche Fachartikel, Artikel und Bücher veröffentlicht, u. a. das Buch "Die Ehe, Seitensprung der Geschichte". Sie ist seit 60 Jahren mit dem ehemaligen Postminister Dr. Christian Schwarz-Schilling verheiratet, hat zwei Töchter und vier Enkel. Wir trafen die Autorin, Wissenschaftlerin und Unternehmerin zum Gespräch.

CHEXX Es gibt Leute, die schreiben schon mit 30 ihre Autobiografie. Haben Sie - mit Ihrem Wissen und Ihren Erfahrungen - noch nie an ein Buch über Ihr Leben gedacht?

Marie-Luise Schwarz-Schilling Ich werde nie eine Biografie schreiben und mein Mann auch nicht. Meine Gedanken finden sich in meinen Büchern und Artikeln - aber das eigene Leben interessiert doch andere Leute nicht.

CHEXX Haben Sie die Themen für Ihre Bücher gesucht oder sind Sie Ihnen quasi "zugeflogen"?

Marie-Luise Schwarz-Schilling Sie sind mir zugeflogen. Mein erstes Buch "Kaufmann und Schamane" war eine Auseinandersetzung mit dem philosophischen Denken der 68er. Die Thematik - Was machen wir mit der Wirtschaft? - hat übrigens nichts von ihrer Aktualität verloren.

CHEXX Doch Ihr wichtigstes Aktionsfeld war und ist die historische und politische Dimension von Ehe und Partnerschaft. Wo sehen Sie gegenwärtig die größten Aktionsfelder beim Kampf um die Gleichberechtigung von Frau und Mann?

Marie-Luise Schwarz-Schilling Das tiefliegende Grundproblem ist 5.000 Jahre alt: das andere Geschlecht als wirklich gleichrangig anzusehen. Darum geht es auch fast ausschließlich in meinem dritten Buch. Und noch immer stelle ich fest, dass die meisten Frauen bei ihrer Partnersuche den Traum vom Prinzen im Kopf haben. Und natürlich ist die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern noch immer im Alltag schwierig zu meistern. Hier ist Frankreich ein Vorbild, sowohl von den Bedingungen als auch von der gesellschaftlichen Akzeptanz der Kindereinrichtungen.

CHEXX Sehen Sie sich als Feministin? In diesem Wort schwingt Kampfeslust.

Marie-Luise Schwarz-Schilling Ja, ich bin eine Feministin, habe aber nie Barrikaden errichtet, wenngleich in mir eine gewisse Kampfeslust lebt. Mein Anliegen ist es, den großen Graben zwischen den Geschlechtern zu schließen. Zum Feminismus gehört für mich auch, dass Frauen in einer Partnerschaft Verantwortung tragen. Der Mann kann nicht alles entscheiden, ist nicht an allem schuld - da steckt im weiblichen Unterbewusstsein noch viel Prinzen-Trauma.

CHEXX Sie sind seit genau 60 Jahren glücklich verheiratet. Wie erklären Sie dieses Glück?

Marie-Luise Schwarz-Schilling Da kommen mehrere Dinge zusammen. Ein Punkt ist das große Vertrauen, das wir ineinander hatten - ein Grundvertrauen, das aus den Familien kommt, aus denen wir stammen. Uns ist es in all den Jahren gelungen, aufeinander neugierig zu bleiben. Wir wollen immer wissen, was der andere denkt und tut. Grundlegend ist zudem, dass wir uns in all den Jahren immer gegenseitig die Freiheit ließen, die individuellen Lebenspläne zu verwirklichen.

CHEXX Nirgends in Deutschland gibt es so viele verschiedene Lebensformen wie in Berlin. Was sind für Sie Erfolgsmodelle?

Marie-Luise Schwarz-Schilling Ich bin Anhängerin des Paarlebens, ganz gleich, ob hetero- oder homosexuell. Für die Entwicklung des Einzelnen ist die Ich-Du-Beziehung existenziell. Gemeinsam auf Augenhöhe wachsen, das braucht Stabilität. Aber selbstverständlich haben Wechsel- und Wohngemeinschaften in einzelnen Etappen des Lebens ihre Berechtigung.

CHEXX Sie sind vielen interessanten Frauen und Männern begegnet. Gibt es jemanden, der Sie besonders geprägt hat?

Marie-Luise Schwarz-Schilling Ein Mensch, der mich besonders geprägt hat, war eine Klosterfrau. Sie war meine Mathematiklehrerin und ich Gymnasialschülerin. Sie hat mich bestärkt, selbständig zu denken.

CHEXX Woran arbeiten Sie gegenwärtig?

Marie-Luise Schwarz-Schilling Ich schreibe das Ahnenbuch für meine Enkel. Das habe ich ihnen versprochen. In diesem privaten Buch erzähle ich die Geschichten unserer Vorfahren. Ich war schon immer sehr neugierig und habe so viele familiäre Geschehnisse erfahren. Im Krieg gingen die Schriften unserer Familien verloren und so kann ich mich nur noch darauf verlassen, was mir erzählt wurde. Das Thema, das mich gegenwärtig antreibt, sind die Weltbilder. Ich fasse mit diesem Begriff Ideologien, Religionen, Denkmuster zusammen - also all das, was unser Handeln steuert. Auch dann, wenn diese Weltbilder ganz verwuschelt sind oder pendeln.

Bücher
"Kaufmann und Schamane. Ermutigung zur Freiheit und ihrer Last" (1984), Seewald Verlag
"Die Ehe. Seitensprung der Geschichte" (2004), Dielmann-Verlag
"Kampfplatz Liebe - wieviel Gleichberechtigung verträgt die Partnerschaft?" (2015), Wagner Verlag

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