Sehr viele von uns haben Schwierigkeiten, ihr Unbehagen über das Jetzt und Heute in Worte zu fassen. Und dann stoßen wir plötzlich auf Gedanken und Formulierungen, wo wir sofort sagen: Das ist es! Exakt so empfinden wir es auch! Genau dieses Gefühl stellte sich auch bei mir ein beim Lesen des Essay-Bändchens von Ulrike Guérot "Wer schweigt, stimmt zu" mit der Unterzeile: "Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen". Es ist in diesen Tagen im Westend Verlag Frankfurt/Main erschienen. Die Autorin Guérot ist Co-Direktorin des Centre Ernst Robert Curtius (CERC) und seit Herbst Professorin für Europapolitik der Universität Bonn. Die Politikwissenschaftlerin machte sich einen Namen mit ihren klugen Positionen und Büchern zum Thema vereinigtes Europa und der Unterstützung der EU-Politik und war gern gesehener Gast in Talkshows und Zitate-Lieferantin bei den Meinungsführern in den Printmedien. Doch seitdem sie das Corona-Geschehen mit seinen drakonischen Maßnahmen und den Auswirkungen auf die demokratischen Verhältnisse im Land äußerst kritisch betrachtet, ist das vorbei.
In ihren Vorbemerkungen schildert die Autorin, wie sie in den ersten Märztagen 2020, als man in Österreich eine Stunde legal joggen durfte, am Donaukanal bei Wien allein auf einer Parkbank in der Sonne saß und vier Polizeibeamte sie baten, den öffentlichen Raum zu räumen. Dieser für sie bizarre Vorgang geschah in Zeiten, in dem sich scheinbar alle unter Panik in einem Zug drängten, der immer schneller Fahrt aufnahm - der Zug der Coronamaßnahmen. Seit nunmehr zwei Jahren fährt dieser Zug einem Ziel entgegen, das niemand kennt. Die prominente Wissenschaftlerin ist nicht in diesen Zug eingestiegen, hat das Zeitgeschehen von einer anderen Warte beobachtet und ist, wie sie erklärt "…heute von der Gesellschaft entfremdet." (Seite 10) Sie räumt auch ein, dass ihr Corona im Familien- und Freundeskreis begegnet ist. Aber nichts von den Auswirkungen konnte aus ihrer Sicht den gesellschaftlichen Ausnahmezustand rechtfertigen, in dem wir uns seit zwei langen Jahren befinden. Gleichzeitig erlebte sie eine immer mehr einseitige Berichterstattung und Ausgrenzung von Experten mit anderer Meinung und kritischen Wissenschaftlern, die nicht nur aus Beratungsgremien entfernt wurden, sondern auch ihre berufliche Existenz verloren. Auch die Autorin selbst wurde angegriffen: "Ich persönlich musste im August 2021 eine Rufmordkampagne über mich ergehen lassen, weil ich - wie viele andere - auf Ungereimtheiten in der offiziellen Corona-Berichterstattung, auf das Framing von Zahlen, oder die rechtliche Problematik von 2G hingewiesen habe." (Seite 11). Diese kritische Sicht und das eigene Erleben kulminieren schon in den Vorbemerkungen des Buches in die eindringliche Warnung, dass das politische System notwendigerweise autoritär wird, weil Systemversagen kaschiert und de facto ein Lügengebäude stabilisiert werden muss. "Impfpflicht, Impfregister und grüner Pass können dann die letzten Tropfen werden, die die…Demokratien in Europa in den undemokratischen Abgrund stürzen" (Seite13). Und so stellt Ulrike Guérot der Pandemie-Erzählung das Zeugnis aus, dass sich der Dammbruch in der Corona-Debatte ankündigt. Allerdings muss sie eingestehen: Das Gefährliche an dieser Situation bzw. der Diskussion ist, dass Argumente eben nicht mehr zählen, dass es eben nicht mehr um Logik, Kausalitäten und Vernunft geht, sondern die Politik sich ideologisiert. Und dann der Stoßseufzer: Mit Wissenschaft kommt man gegen die Absurditäten gerade nicht mehr an, der sich dann weiter fortsetzt: Man weiß angesichts der offensichtlichen Diskrepanz zwischen politischem Geschehen und Faktenlage gar nicht mehr, was man noch alles vortragen müsste, um in ein Glaubenssystem, das sich völlig verkapselt hat, noch Argumente vordringen zu lassen (Seite 16). Und werden da historische Reminiszenzen geweckt, zumal die "Freiheit immer scheibchenweise stirbt"?
Nach diesen fulminanten Vorbemerkungen mit der Werbung für einen Diskurs zwischen Leitmedien und alternativen Medien, der verhindern soll, dass das politische System nicht wegen einer Impfpflicht über die Klippe des demokratischen Rubikon springt, folgen drei Kapitel, die es in sich haben: Wo wir stehen, was passiert ist und was wir jetzt machen. Auf den folgenden 120 Seiten darf sich der Leser auf klare eindeutige Aussagen freuen, die dann auch begründet werden. Wo kann man heutzutage in deutschen Medien zum Ist-Zustand der Gesellschaft so einen Klartext an Meinungen lesen wie: "Im Nebel obskurer oder gar falscher Zahlen, Prognosen und Panikmache … hat sich ein politisches System zum Jahresende 2021 völlig verrannt" (Seite 23). Das fängt beim Versagen von Justitia an, der Aushöhlung von Rechtsstaat und Verfassung, was schließlich in dem persilschein-artigen Urteil vom Bundesverfassungsgericht am 19. November 2021 kulminierte, "alle Maßnahmen … der Bundesnotbremse ex post zu legitimieren, worüber sich dann einer, nur ein (!) wackerer Journalist empörte: Heribert Prantl." Auch die Medien sind ihrer Aufgabe als sogenannte vierte Gewalt im Staate nicht nachgekommen. "Eine freie Presse braucht keine "Faktenchecker", sondern viele und unterschiedliche Blickwinkel über ein Thema, gute Analysen, Kontextualisierungen, differenzierte Einordnungen und Wertungen" (Seite 26 - 27). "Seit Mitte, spätestens Ende 2020 hatten die Maßnahmen (zur Pandemie) mit wissenschaftlicher Begründung also nichts mehr zu tun, eher im Gegenteil" (Seite 35). Journalisten wurden nach differenzierten Artikeln zur Impfung gekündigt, das "Kärchern" unliebsamer Artikel fand genau in den Leitmedien statt, die sich ansonsten in der Berichterstattung über die "unfreien" Medien etwa in der Türkei überbieten. Doch worüber nicht geredet wird, findet nicht statt. Und die Autorin beklagt, Wagenladungen von Professoren wurden aus diversen offiziellen Beratungsfunktionen geschasst. Und dann sind Wahrheiten im Buch, die fast wie Kalendersprüche klingen, aber sehr nachdenkenswert sind. "Eine Wahrheit braucht keine Mehrheit und eine Mehrheit allein ist kein Argument" (Seite 42).
Im zweiten Kapitel wird unter der Überschrift "Was passiert ist" auf knapp 30 Seiten die Rolle der Wissenschaft in der Coronakrise beleuchtet. Hier listet die Autorin auch noch einmal detailliert die Wahrheiten der Impfkritiker auf, Verstrickungen mit der Bill & Melinda Gates Foundation mit der WHO sowie die Geldzuweisungen der Stiftung (Seite 75). Und Ulrike Guérot geht auf die Pikanterie des Zeitgeschehens ein. Im Vergleich zu früheren politischen Systemen lag "während Corona die Wahrheit - nämlich, dass die Maßnahmen unverhältnismäßig sind - die ganze Zeit auf der Straße: ein Blick in die offiziellen Statistiken hätte gereicht. Aber keiner wollte die Wahrheit von der Straße aufheben. Mal ehrlich, wer braucht schon die Wahrheit, wenn`s sich in der Lüge so viel einfacher leben lässt?" (Seite 84). Und schließlich macht die Autorin auch keinen Bogen um die "Montagsspaziergänge" mit ihrem anschwellenden Motto: "Wir glauben euch nicht" und der Frage: Wie wollen wir leben und was ist uns unsere Freiheit wert? (Seite 86). Auch das dritte Kapitel überschrieben mit "Was wir jetzt machen" ist sehr lesenswert, weil es interessante Sichten und Wertungen auf eine Welt bietet, die schwankt zwischen Dystopie und Utopie, globalem Wahn und globaler Hoffnung. Dabei zerstört Ulrike Guérot mit Bedacht manche Illusionen z. B. der großen Solidarität zu den Pandemiezeiten mit solchen Fakten: "2020 war für die Hochvermögenden das finanziell erfolgreichste Jahr in der Menschheitsgeschichte. Milliardäre konnten ihre Vermögen während der Pandemie um fünf Billionen Dollar steigern, was einem Anstieg um rund 60 Prozent innerhalb eines Jahres auf 13 Billionen Dollar entspricht. Für alle anderen bleibt 5 Prozent mehr Inflation (in der Türkei schon 78 Prozent)" (Seite 89).
Sehr Bedenkenswertes konstatiert die Autorin auch zur Impflicht, die am 18. März dieses Jahres durch Beschlüsse im Deutschen Bundestag droht: "Niemand garantiert, dass, wenn es heute zur Pflicht wird, etwas in den eigenen Körper injizieren zu lassen, es morgen nicht Pflicht ist, etwas davon herzugeben." Und weiter: "Der Körper wird durch das Versprechen des Schutzes und den QR-Code als Köder für "Freiheit" zur Ware gemacht …". Damit liege für die Politikwissenschaftlerin das Paradoxon für die neue Demokratie in ihrer dystopischen Varianz schon auf dem Tisch: "Frei ist nur noch, wer sich in die - körperliche und geistige - Unfreiheit begibt.“ (Seite 100/103) Und vielleicht ein Resümee: "die politische Reaktion auf Corona kann, so ein Zitat Philipp von Becker, nur als ein verzweifelter Todeskampf einer sterbenden, dysfunktionalen, irrationalen, größenwahnsinnigen und autodestruktiven Machtmaschinerie verstanden werden, die um ihr Ableben weiß" (Seite 112). In den Schlussbemerkungen stellt die Autorin fest, dass laut Umfragen die Zustimmung zu den Corona-Maßnahmen von 2020 zu 2021 um die Hälfte gesunken ist und mit Sichtbarwerdung der Folgeschäden nun 82 Prozent der Deutschen der Überzeugung sind, Corona hat die Gesellschaft zum Negativen verändert. Nur ein Prozent sieht eine positive Veränderung. Alle politischen Alarmglocken müssten also schrillen. Für diejenigen, die das Essay gelesen haben, ist es wenig überraschend, dass ein österreichischer Verlag, für den die Autorin den Text geschrieben hatte, die Veröffentlichung ablehnte mit der Begründung "weil man befürchtete, man werde den Reaktionen auf sozialen Medien nicht Herr" (Seite 12). Zum Glück gibt es immer noch engagierte Verlage in Deutschland, die sich nicht einschüchtern lassen. Und auch die Autorin hat sich selbst an ihren Appell vom Buch-Titel gehalten und dieses kämpferische, unversöhnliche Essay verfasst.