Ausgerechnet in der Stadt Berlin, in der seit Jahren durch unzählige Politiker die große Wende in der Mobilität so lautstark eingeläutet wird, also weniger Individualverkehr per Auto und mehr Bahn, Tram und Fahrrad, fahren die umweltfreundlichsten Verkehrsmittel in die Krise. Die im Jahr 1924 gegründete S-Bahn avancierte einst zum Markenzeichen der Stadt. Und trotz Bombenteppichen und gewaltiger politischer Umbrüche schaffte es die Bahn immer wieder neu, überwiegend pünktlich und zuverlässig zu sein. Bis sie trotz vieler Warnungen endgültig im Jahr 2009 unaufhaltsam in die Krise fuhr, geschuldet einem bedingungslos angestrebten Börsenganges. Der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn lässt grüßen. Der Abbau von Personal, die Überalterung des Wagenparks und Konstruktionsmängel der Baureihe 481 sowie gleichzeitig die Schließung von Werkstätten war nicht mehr zu kompensieren. Davon hat sich die S-Bahn bis heute nicht erholt. Die neuste Hiobsbotschaft ereilte vor wenigen Tagen die Fahrgäste im Nordosten der Stadt, vor allem in Marzahn. Die Linien S7 und S75 fallen in diesem Jahr komplett für zwei Monate (!) im September und Oktober aus. Da war sogar SPD-Abgeordneter Sven Kohlmeier, der um seine Wähler bangt, nachhaltig "entsetzt", um im gleichen Atemzug die derzeit zuständige grüne Verkehrssenatorin zu kritisieren. Vielleicht rechnet er mit der Vergesslichkeit der Berliner, welche Partei seit 20 Jahren im roten Rathaus sitzt und auch die S-Bahnpolitik regiert. Doch auch die Nutzer der Berliner U-Bahn müssen auf fast allen U-Bahn-Linien mit massiven Ausfällen und Verspätungen zurecht kommen. "Fast stadtweit ist die U-Bahn nur ein Schatten ihrer früheren Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit", beklagt Christfried Tschepe, Vorsitzender des Fahrgastverbands IGEB in der Berliner Zeitung und spricht inzwischen sogar von einer U-Bahn-Krise. Mit einem Durchschnittsalter von rund 28 Jahren sind viele der fast 1.300 Wagen überaus betagt, die ältesten Exemplare stammten aus den 60er Jahren. Die letzte große Neubestellung für die U-Bahn erfolgte Mitte der 90er-Jahre. Investitionen in die alte Infrastruktur konnte die BVG und ihre engagierte Chefin Sigrid Nikutta allein mit Einnahmen aus Fahrpreisen nicht stemmen. Der Senat hatte zu lange andere Prioritäten gesetzt und so tröpfelten die Finanzen für die Bahn nur nach Kassenlage. Für die Fahrgäste in überfüllten Bahnen oder unpünktlichen Zügen oder für alle, die sich über längerfristig gesperrte Verbindungen ärgern, hat der Senat jetzt vor wenigen Tagen ein Licht der Hoffnung angezündet. Es nennt sich Berliner Nahverkehrsplan. In die Projekte sollen bis 2035 rund 28 Milliarden Euro investiert werden, nicht nur in einen neuen Wagenpark. Das Straßenbahnnetz soll um einige Dutzend Kilometer vergrößert, die U-Bahn-Linien ausgeweitet und künftig surren politisch korrekt jede Menge Elektrobusse durch die Straßen. Die veröffentlichte Meinung zu dem Masterplan schwankt zwischen einem euphorischen "Na endlich" und einer unverhohlenen Skepsis darüber, wie die Fülle von damit verbundenen Problemen wie der Lade-Kapazität der Batterien in Bussen zur Winterzeit, der größere Flächenbedarf für die Tram und vieles andere mehr gelöst werden können. Bleibt der Masterplan für den Nahverkehr ein Traum? Es wäre schön, wenn dieser Traum wahr würde. Aber zunächst einmal sollte der Berliner Senat mit einer tiefen ehrlichen Analyse der Krise des Nahverkehrs in der Stadt beginnen. Dazu gehört auch, endlich eine namentliche Nennung und gegebenenfalls finanzielle Haftung und Verurteilung von Verantwortlichen für die Zustände im öffentlichen Nahverkehr in die Wege zu leiten. Eine erste Voraussetzung, um wieder für die Glaubwürdigkeit der Verkehrspolitik bei den Berlinern zu sorgen. Ansonsten könnten künftig die Traumverkäufer auf ihren Träumen sitzen bleiben.