Die Lust am Verwandeln

Gelungene Premiere vom Bestseller "Achtsam morden" im Schlosspark Theater Berlin.

Dieter Hallervorden, Ines Nieri und Mario Ramos nach der Premiere, Foto von Ronald Keusch
Dieter Hallervorden, Ines Nieri und Mario Ramos nach der Premiere, Foto von Ronald Keusch

Häufig bieten Bestseller-Bücher auch perfekte Vorlagen für eine durchschlagend erfolgreiche Bühnenfassung. So auch bei dem Erfolgsroman von Karsten Dusse, der mit "Achtsam morden" im Jahr 2018 seinen ersten Krimi mit jeder Menge schwarzem Humor schrieb. Und ihm gelang es sogar, wovon viele Autoren nur träumen, immer weitere Fortsetzungs-Romane der begeisterten Leserschaft zu liefern. Die Reihe besteht bisher aus fünf Büchern. Vor zwei Jahren bearbeitete Bernd Schmidt den ersten Roman für die Bühne und seitdem wird in Deutschlands Theatern unter großem Beifall "achtsam" gemordet. Nun ist das mordsvergnügliche Spektakel auch im Schlosspark Theater in Berlin Steglitz angekommen.

Für Krimi-Fans ist die auf der Bühne erzählte Geschichte auf den ersten Blick zunächst kein besonderer Aufreger. Der Rechtsanwalt Björn Diemel hat gehörig Stress mit seiner Frau. Den verursacht sein Client Dragan, der Boss einer Gang, die mit Drogenhandel, Prostitution und Mord zu tun hat. Die ständigen Anrufe des Gangsterbosses haben Folgen für sein Familienleben. So schickt Ehefrau Katharina den Anwalts-Gatten zu einem Achtsamkeits-Coach, der ihn mit jeder Menge achtsamer Ratschläge ausrüstet. Nun kann der Rechtsanwalt und Familienvater die über ihn hereinbrechenden Turbulenzen der Gangsterwelt und der Verfolgung durch die Polizei meistern. Als er mit seiner kleinen Tochter am Wochenende zu einem See fährt, "vergisst" er den ihn ständig bedrohenden Gangsterboss Dragan im Kofferraum seines Autos, was dieser nicht überlebt - der Anfang von "achtsam morden" in der bitterbösen schwarzhumorigen Geschichte ist gemacht.

Eine Binsenweisheit in der Theaterwelt besagt, dass für einen erfolgreichen Abend ein gutes Bühnen-Stück allein nicht ausreicht. Es bedarf immer eines erstklassigen Theaterensembles, Regie, Bühnenbild, Kostüme, Maske, Technik, Musik und natürlich den Schauspielern, an ihrer Spitze Hausherr Dieter Hallervorden. Das Premieren-Publikum im ausverkauften Haus begrüßte den großen Komödianten oft mit Szenenapplaus. Und er lieferte auch an diesem Abend große Auftritte in zehn unterschiedlichen skurrilen Rollen ab, ob als Achtsamkeits-Coach, als beleidigte Chefsekretärin der Anwaltskanzlei, als spielenden Kindergarten-Sprössling oder als Unterwelt-Mafiosi im Pelzmantel mit Krückstock. In gleich elf verschiedene Rollen schlüpfte die in Hamburg beheimatete Schauspielerin Ines Nieri. Auch ihr gelang es eindrucksvoll, ganz unterschiedliche Figuren im Stück virtuos zu verkörpern, von der streitenden wie liebevollen Ehefrau des Anwalts bis zur quengelnden Tochter Emily, vom kleinen Ganoven Sascha bis zum ermittelnden Polizeikommissar.

In dem Dreipersonenstück brillierte in der Hauptrolle des Anwalts Björn ein vor allem für das Publikum im Schlosspark Theater guter Bekannter - Mario Ramos. Denn der Schauspieler, der schon in unterschiedlichsten Rollen auf vielen Bühnen stand, war bereits elf Mal hier in Berlin Steglitz zu Gast. Vielen Zuschauern ist er sicher noch mit seinen Auftritten im "Biedermann" als einer der Brandstifter sowie als Gitarre spielender Gutsbesitzer Telegin im "Onkel Wanja" in bleibender Erinnerung geblieben. Ramos gelingt es einfach glänzend, die Rolle des Anwalts auszufüllen, der allen rasanten Wirrnissen trotzt und dem Publikum als gelehriger Schüler die Achtsamkeits-Regeln erklärt.

Die Bühnenfassung einer solchen schwarzen Kriminalkomödie, in der drei Akteure insgesamt 25 Charaktere verkörpern, ist zuallererst auch eine riesige Herausforderung an den Regisseur Philip Tiedemann. Mit seinen jahrzehntelangen Erfahrungen in mehr als einhundert Inszenierungen gelang es ihm, dieses Spektakel in eine künstlerische Form einzubetten und logistisch perfekt ablaufen zu lassen. Dabei ist sicher kein Nachteil, dass die im Buch enthaltenen recht ausschweifenden und philosophierenden Erläuterungen des Achtsamkeits-Ratgebers, zum Beispiel über das Atmen, über Zeitinseln oder die Freiheit des Nichts-Tuns in der Bühnenfassung recht zügig auf den Punkt gebracht werden. Anwalt Björn setzt das Achtsamkeitsprinzip des "Gebens und Nehmens" um, indem er den Polizeikommissar mit der Zusage eines Kindergartenplatzes für seinen Sohn korrumpiert. Und eigentlich ist Folter mit dem "Inneren Widerstand" nicht vereinbar, aber unter bestimmten Bedingungen vielleicht doch … wenn man mit seinem inneren Widerstand konstruktiv umzugehen weiß.

Wenn etwas an der Aufführung kritisch anzumerken ist, dann ist es der etwas übertriebene Einsatz von osteuropäischen oder englischen Akzenten, der an einigen Stellen auf Kosten der inhaltlichen und auch der akustischen Verständlichkeit für das Publikum ging. Warum zum Beispiel der Polizeikommissar überhaupt mit einem starken Dialekt sprechen musste, erschließt sich nicht. Vielleicht kann da im Laufe der Aufführungen noch etwas nachgefeilt werden.

Für dieses "Bäumchen, Bäumchen, wechsel dich"-Spiel auf der Theaterbühne bedurfte es nicht zuletzt eines originellen Bühnenbildes und variabler Kostüme. Stephan von Wedel brachte hier all seine internationale Erfahrung als Bühnen- und Kostümbildner ein. Allein die Lösung einer zweiten kleinen Bühne auf der großen Bühne, ähnlich einem Jahrmarkt-Puppentheater mit Scherenschnitten, Kasperlefiguren und kurzen Puppenbeinen für die Schauspieler, ist außergewöhnlich kurios und praktisch für den Spielverlauf mit nur drei Akteuren auf der Bühne. Und auch die Zahl der Mitwirkenden hinter der Bühne, die für die ständigen Wechsel an Kostümen, Perücken und Accessoires Hand anlegten, ist nicht überraschend. Für die Kostüme zeichneten Viola Matthies und Jasper Krafft verantwortlich, für die Requisite Katja Tschiesche, die technische Leitung hatte Tom Weinhold inne, Inspizienz Niklas Korff, die Musik schrieb Henrik Kairis. Schwerstarbeit hatte die Maske zu leisten: Sandra Meyer, Anja Wojtas und Charlene Wollenburg. Sie alle wurden nach der Vorstellung auf die Bühne gebeten und mit langem Beifall vom Premierenpublikum gefeiert.

Die Kriminal-Komödie "Achtsam morden" wird in der Folge ohne Unterbrechung über mehr als sechs Wochen insgesamt 40 Mal im Schlosspark Theater aufgeführt. Für andere Theater-Spielpläne in Deutschland eher ungewöhnlich, erinnert es an den Spielbetrieb der Musical-Theater in London oder Paris. Wie sicher ist das Theater mit seinem Intendanten Hallervorden, mit diesem Stück über diesen langen Zeitraum ein volles Haus zu haben, so frage ich auf der Premierenfeier Regisseur Philip Tiedemann. Er sieht für den Zuspruch des Publikums vor allem drei Gründe. Erstens sei diese Kriminalkomödie ein wunderbares Stück, um die Lust am Verwandeln der einzelnen Akteure zu verfolgen. Zweitens habe "Achtsam morden" den großen Vorzug, in die direkte Zwiesprache mit dem Publikum zu treten und schließlich werde in dieser Komödie dem Zuschauer eine Reihe ganz ausgefallener Typen präsentiert. Hier wird also insgesamt "richtiges Theater" aufgeführt, was sehr viele Menschen von einem Theaterabend erwarten. Diese Lust am Spiel - das können Netflix und andere neue Medien nicht bieten, auch wenn Netflix eine Verfilmung des Romans für 2024 angekündigt hat. Und schließlich verweist der renommierte Regisseur noch auf einen nicht zu unterschätzenden Faktor, der den Höhenflug des Stückes bewirkt. Sehr viele Menschen haben die Bestseller-Romane von Karsten Dusse gelesen. Und Millionen Leser sind deshalb dann auch gespannt auf die Bühnenfassung und wollen sie unbedingt sehen.

Das bedeutet für alle Interessierte an "Achtsam morden" und alle Freunde und Fans des Schlosspark Theaters und von Dieter Hallervorden: Mit der Buchung der Theater-Tickets nicht zu lange warten.

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

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