Das wird ihr Jahr für Jahr in vielerlei Hinsicht bestätigt, nicht zuletzt durch wachsende Besucherzahlen ebenso wie auch durch neidvolle Kommentare aus süd- und norddeutschen Großstädten mit großen kulturellen Ansprüchen. Einen herausragenden Platz nimmt traditionell die Theaterszene der Hauptstadt ein. Hier ist deshalb nicht zufällig seit nunmehr 52 Jahren der Ort für das Theatertreffen - eine im Rahmen der Berliner Festspiele einmalige Veranstaltung im deutschsprachigen Raum. Denn hier wählt eine siebenköpfige Jury von Theater-Kritikern insgesamt zehn Stücke aus, die dann innerhalb von zwei Wochen (in diesem Jahr vom 1. bis zum 17. Mai) auf Berliner Bühnen aufgeführt werden. Dank knapp zwei Dutzend finanzkräftiger Sponsoren und Partner wie dem Auswärtigen Amt, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Rudolf Augstein Stiftung können sich die Berliner und ihre Gäste an den herausragenden Inszenierungen begeistern, wenn sie eine der 19.250 Karten ergattern konnten. Übrigens, je zwei Inszenierungen kamen aus München, Hamburg und Wien und auch Berlin ist in diesem Jahr zwei Mal mit einem Stück vom Deutschen Theater und vom Maxim Gorki-Theater vertreten. Die Chefin des Theatertreffens, Yvonne Büdenhölzer, die gemeinsam mit dem Intendanten der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, die Jury einsetzt, ist mit deren Auswahl für das Jahr 2015 sehr zufrieden. Gegenüber dem Magazin CHEXX nennt Büdenhölzer dafür drei Gründe. "Erstens ist der diesjährige Jahrgang besonders politisch ausgerichtet, zweitens werden vor allem zeitgenössische Autoren präsentiert und schließlich sind in Berlin insgesamt fünf Regie-Debütanten mit ihren Inszenierungen zu sehen." Außerdem sei, so Büdenhölzer, das diesjährige Theatertreffen noch internationaler als bisher aufgestellt. Das zeige sich auch darin, dass alle zehn Stücke in englischer Sprache übertitelt sind bzw. Simultanübersetzungen angeboten werden. Ein Ausdruck dafür, dass die internationale Fachwelt des Theaters hier zu Gast ist und auch ein Entgegenkommen an die vielen Berlinbesucher aus aller Welt.
"Die Unverheiratete"
Verstörend, aufwühlend, beklemmend - ein Blick in die Geschichte im Jahr 1945 des gemeinhin so gemütlichen Österreich. Das Stück "Die Unverheiratete", eine Inszenierung vom Burgtheater Wien, handelt von der Schuld einer damals jungen Frau. Sie denunziert einen 20jährigen österreichischen Soldaten, der in den letzten Kriegstagen im Telefongespräch mit seinem Vater erwägt, zu desertieren. Sie meldet es den Behörden, ein Standgericht verurteilt den 20jährigen zum Tode. Der junge Soldat wird wenige Tage vor dem Ende des mörderischen Krieges aufgehängt. Nach dem Ende des Krieges wird der Denunziantin dafür der Prozess gemacht. So beginnt dieses Stück, in dem der 36 Jahre alte österreichische Erfolgs-Dramatiker Ewald Palmetshofer auf der Grundlage historischer Tatsachen einen Konflikt von drei Generationen aufbaut: da ist die Angeklagte, mittlerweile 90 Jahre alt, dann die mittlere Generation ihre Tochter mit 50 Jahren und die Enkelgeneration mit 30 Jahren. Die Geschichten um die verschlungenen Lebenslinien dieser drei Frauen zwischen Vergangenheit und Gegenwart werden beeindruckend erzählt. In diesem reinen Frauenschauspiel stehen nur Frauen auf der Bühne und sprechen meist über die Männer ihrer Zeit. Besonders augenfällig die eigensinnige Großmutter, die widerborstig ihre Sicht der Wahrheit darstellt. Schließlich ist der Erfolg der Inszenierung auch ganz wesentlich in den Schauspielerinnen zu suchen. Das trifft auf Stefanie Reinsperger zu, die die junge Generation verkörpert und mit ihrem Akkordeon zwischen den Zeiten pendelt. Und besonders auf Elisabeth Orth, die die trotzige Großmutter spielt, die glaubt, immer nur treu dem Gesetz gelebt zu haben.
Eine ideale Kombination ist die Wiener Inszenierung, so die einhellige Einschätzung der Theaterkritiker, mit dem ebenfalls noch jungen großen Regie-Talent, Robert Borgmann, eingegangen. Verstärkt durch das Bühnenbild von flackernden Leuchtstoffröhren, ebenfalls von Borgmann entworfen, agieren die Figuren wie in einem Käfig im ständigen mit- und gegeneinander der Generationen. Aber das Stück stellt auch Fragen nach Tätern und Opfern in Kriegen, nach der Schuld derer, die Kriege führen lassen und wieder vorbereiten. Die Kriege rücken näher wie der Konflikt in der Ukraine. Dort gibt es Denunziationen von ganzen Dörfern, die für ihre wehrfähigen Söhne, Ehemänner und Väter gemeinschaftliche Busse zur Flucht organisieren, damit sie nicht im Osten des Landes in den Krieg ziehen müssen. Sollte zu solchen oder anderen Fakten im Stück ein aktueller Bezug gesucht und gefunden werden? Das Publikum im ausverkauften Haus der Berliner Festspiele in der Schaper-Straße spendete den Frauen auf der Bühne einen langen Beifall.