Schmeckt prickelnd säuerlich süß

Die Fruit Logistica 2024 in Berlin ist der traditionelle Treffpunkt des globalen Fruchthandels.

Foto von Ronald Keusch
Foto von Ronald Keusch

Die Messe Berlin war vom 7. bis 9. Februar 2024 wieder Gastgeber für die Leitmesse des globalen Fruchthandels, die Fruit Logistica. Gut für den Messestandort Berlin, denn in diesem Jahr trafen sich Aussteller aus 94 Ländern mit Fachbesuchern und Handelspartnern aus über 140 Ländern. Die Fachmesse ist mit solchen Zahlen weiterhin auf der Überholspur und kann schon fast wieder an die Zahlen der Vor-Corona-Zeit anknüpfen. Die Fruit Logistica deckt das ganze Spektrum an Obst und Gemüse weltweit ab, sie ist der Hotspot der Branche für die neuesten Trends und Innovationen, für Netzwerke und zukünftige Strategien.

Zukunft klopft an das Hof-Tor

Das zeigte sich sehr anschaulich in einem digitalen Presseevent am 1. Februar mit dem Direktor der Fruit Logistica, Kai Mangelberger sowie seinen Gesprächspartnern Tom Stenzel, Executive Director der Controlled Enviroment Agriculture (CEA) Alliance, Mike Knowles, Geschäftsführer von Fruitnet Europe und Cindy van Rijswick, Global Strategist bei der Rabobank. Da klopfte die Zukunft der Landwirtschaft mit der Obst- und Gemüse-Produktion kräftig ans Hof-Tor mit Farmen unter dem Dach und Produktionen im Gewächshaus. Auch die Künstliche Intelligenz soll ein Helfer werden, zum Beispiel bei der Automatisierung der Bewässerung, im Erkennen von Pflanzenkrankheiten, bei der Sortierung von Früchten, oder beim City Farming in Großstädten, ob nun als Rooftop Factories auf den Dächern von Paris oder in ausgedienten Frachtcontainern. Zwar wird seit Jahren das Vertical Farming als Zukunft der Produktion von frischem Obst und Gemüse in der zunehmend urbanen Welt gepriesen, aber es haben, so räumt selbst die offizielle Presseinformation der Fruit Logistica ein, "die jüngsten Misserfolge Zweifel an ihrer Zukunft aufkommen lassen." Das Presseevent und die zahlreichen Kongresse und Vorträge in den Messehallen sind "English only". Nicht überraschend bei der Internationalität der Messe: Nur 10 Prozent der Aussteller kommen aus Deutschland. Sind gute Englisch-Kenntnisse künftig eine Bedingung für eine Tätigkeit in der Landwirtschaft und ein Pflichtprogramm für das Landvolk? In jedem Fall aber werden bei der Produktion und Verarbeitung von Obst und Gemüse neue Technologien Einzug halten, die auch neues Expertenwissen erfordern.

I love Fruit & Veg from Europe

Eine Zahl in der Bilanz der diesjährigen Fruit Logistica ist ebenfalls im Aufwärtstrend. Die Gesamt-Zahl der Aussteller ist weiter gestiegen, von 2.610 im Jahr 2023 auf 2.770 in diesem Jahr. Dazu hat eine erneut starke spanische Beteiligung beigetragen sowie der weitere Anstieg der Zahl der italienischen Aussteller auf insgesamt 471. Unter dem Dach der Schlagzeile "I love Fruit & Veg from Europe" haben sich zudem Produzenten der Landwirtschaft Italiens zusammengeschlossen und sind auf der Messe präsent. Dürfen die denn sagen: "Europe first?" Sie machen es einfach. Dazu gehört beispielsweise Terra Orti, eine 1999 gegründete Genossenschaft für saisonales Gemüse aus verschiedenen italienischen Regionen oder die Erzeugerorganisation La Deliziosa am Fuße des Ätna in Sizilien, beide in der Halle 4.2. Demgegenüber fällt die Zahl mit 278 Ausstellern aus Deutschland eher bescheiden aus. Von den 47 Ländern, die auf der diesjährigen Messe mehr Fläche gebucht haben, ist China am stärksten gewachsen, sie haben ihre Ausstellungsfläche fast verdreifacht und sind damit schon größer als vor der Pandemie. Das Interesse aus dem Nahen Osten und Nordafrika ist ebenfalls groß.

Der "optimistische" Apfel der Marke Sprizzle

Ein unübersehbarer Trend zeigt sich in der Anzahl der Aussteller, die sich an der so genannten Organic Route mit zertifizierten Bio-Produkten beteiligen. Im Vergleich zum letzten Jahr ist die Zahl um zehn Prozent auf 211 Teilnehmer gestiegen. Bei aller digitalen Revolution in der Landwirtschaft zeigt die Fruit Logistica 2024 in den Messehallen nach wie vor die ganze Buntheit von Obst und Gemüse auf dem Planeten Erde. Davon zeugt sogar die Nominierungsliste für den Innovation Award (FLIA) - so nennt sich der Technologiepreis. Zu den Anwärtern für den diesjährigen Preis zählen eine perfekt gereifte, geschälte Avocado mit einer Haltbarkeit von einem Monat, eine Kreuzung aus Kürbis und Gurke, ein neuer Wegbereiter in der Zucchini-Produktion, eine moderne Variante der Wassermelone sowie eine süße, rosarote Zwiebel. Der Fruit Logistica Innovation Award ging schließlich an das Zucchiolo von Unica Fresh in Spanien, ein neues Gemüse, das ursprünglich aus Südamerika stammt und dort als Zapallito bekannt ist. Beyond Seeds - ein Biotechnologiekonzern aus dem spanischen Almeria - und das Forschungsinstitut für Landwirtschaft und Gartenbau Ifapa haben fünf Jahre lang an dem Gemüse getüftelt, um eine Sorte zu entwickeln, die auch für den Gewächshausanbau im mediterranen Klima geeignet ist. Das Zucchiolo kann roh oder gekocht genossen werden und ist auch außerhalb des Kühlschranks gut lagerbar. Zum ersten Mal wurde auf der Fruit Logistica ein Preis verliehen, der Innovationen im Bereich Machinery & Technology würdigt. Den FLIA Technology Award gewann die niederländische Firma Koppert mit ihrem neuen Verpackungskonzept "Mirical". Und außerhalb der Wertung wird in der Halle 27 am Stand E-75 eine fröhliche Frucht vorgestellt. Es ist der "optimistische Apfel" mit dem neuen Markennamen "Sprizzle". Er soll gute Laune und positive Energie verbreiten und schmeckt dazu noch prickelnd-süß. Dahinter steht die Apfelsorte Sunspark, eine Kreuzung zwischen einem Nicoter und einer Honey Crisp. Sie zeichnet sich durch eine rot gefärbte Schale auf grünlich-gelbem Hintergrund und hat eine knackige, feine Textur. Damit soll, so die Marketingexperten, ein champagnerähnliches Gefühl im Mund erzeugt werden. Na dann: Cheers bei jedem Apfelbiss.

Der Platzhirsch in der Apfel-Welt kommt aus Südtirol

Der Platzhirsch für höchste Qualität der Apfelproduktion kommt zweifellos aus Südtirol. Auf einem ausgedehnten Ausstellungsbereich in der Halle 6.2 halten die Apfelkönige selbstbewusst Hof. Auf einer der ganz wenigen Pressekonferenzen auf der Fruit Logistica von der Interpoma lässt es sich der Präsident des Südtiroler Apfelkonsortiums Georg Kössler nicht nehmen, zunächst einmal für den eigenen Apfel-Kongress zu werben, in der Stadt des Apfels Bozen am 24. und 25. November 2024. Der weltweit bedeutendste Fachkongress der Apfelbranche ist auch das Herz der Interpoma. Die Interpoma ist die im Zweijahresrhythmus stattfindende internationale Leitmesse für den Anbau, die Lagerung und die Vermarktung des Apfels. Davon kann das Unternehmen VariCom aus der Schweiz zur Vermarktung der Birne mit dem klangvollen Markennamen "Fred" auf einem kleinen bescheidenen Messestand in Halle 20 nur träumen. Sie wollen mit ihrer neuen Züchtung, einer Kreuzung der Sorten "Harrow Sweet" und "Verdi", auch den deutschen Markt erobern. Die Birnen haben es schwer.

Statistik mit kleinem Offenbarungseid

Die Fruit Logistica hat die neueste Ausgabe ihres European Statistics Handbook veröffentlicht - der wichtigsten Publikation des europäischen Frischobst- und Gemüse-Marktes. Das Handbuch ist angekündigt als "unverzichtbarer Leitfaden für Produktion und Handel mit frischem Obst und Gemüse" und enthält unzählige Statistiken. Es liegt kostenlos an mehreren Plätzen auf der Messe aus und kann auch über die Messe-Website als Download bezogen werden - ein kleiner Offenbarungseid und ein gutes Stück Insiderwissen, das leider die breite Öffentlichkeit kaum erreicht. Die Handelsbilanz Deutschlands für Obst und Gemüse ist nach wie vor die schlechteste in der ganzen EU - sie beträgt minus 11,9 Milliarden Euro, das sind - 0,3 Prozent des gesamten Bruttoinlandsproduktes (BIP). Das bedeutet, Deutschland muss 0,3 Prozent des BIP aufwenden, weil es sich nicht selbst mit Obst und Gemüse ernähren kann. Selbst die Nordischen Länder mit deutlich ungünstigeren klimatischen Bedingungen erwirtschaften mehr. Und das in einer Zeit, wo alle davon reden, wie wichtig doch Obst und Gemüse für unsere Ernährung sind und die Fleischprodukte medial verdammt und finanziell mit einer Sondersteuer belegt werden sollen. Es geht auch anders. Das zeigen unsere Nachbarländer, die in der gleichen Vegetationszone liegen wie Belgien und die Niederlande. In Belgien halten sich Import und Export die Waage und in den Niederlanden tragen Obst und Gemüse sogar mit plus 0,4 Prozent zum BIP bei.

Fehlen Flächen für Obst- und Gemüseproduktion?

Noch dramatischer ist es, wenn man sich das Produktionsvolumen pro Einwohner und Jahr ansieht. Deutschland produziert gerade mal 61 Kilo pro Einwohner und Jahr an Obst und Gemüse, unsere Nachbarn Belgien, Polen und die Niederlande produzieren zwischen 3,5 und 5-mal so viel Obst und Gemüse. Spanien und Griechenland als Spitzenreiter 7-mal so viel. Liegt das vielleicht daran, dass wir lieber unsere Agrarflächen mit Windrädern bebauen, als dafür zu sorgen, dass man die eigene Bevölkerung wenigstens halbwegs mit Obst und Gemüse ernähren kann? Und zwar mit gesunden, nachhaltig angebauten Produkten aus der Region, die unmittelbar ohne lange Transportwege zum Endverbraucher gelangen.

Steigende Kosten und weniger Obst- und Gemüseanbau

Das diesjährige Handbuch liefert auch andere spannende Fakten wie die diesjährigen Markttrends. Alarmierend ist die Erhöhung der Kosten für Erzeuger und Lieferanten. Zwar sind nach der kräftigen Erhöhung im Jahr 2022 die Preise für Düngemittel und Energie wieder etwas gesunken, aber in allen anderen Bereichen - Saatgut, Pflanzen, Pflanzenschutzmittel, Maschinen, Personal (neuen Mindestlöhne) und Transport (Umfahrung des Roten Meers) sind die Kosten weiter gestiegen. Durch die Wetterbedingungen - Stürme, Trockenheit in einigen Gebieten, Regenfälle und Überschwemmungen in anderen - gab es Ernteausfälle in Europa. Insbesondere wurde weniger Obst produziert. Das alles führte zu einem weiteren kräftigen Anstieg der Erzeugerpreise: Gegenüber dem Jahr 2015 liegt der Erzeugerpreisindex für Obst bei 155 Prozent und für Gemüse bei 156 Prozent! Und schließlich: Die EU importierte mehr und exportierte weniger als im Jahr 2023. Demgegenüber haben die Importe von außerhalb der EU zugenommen, insbesondere bei Orangen und anderen Zitrusfrüchten, Avocados, Karotten und Zwiebeln!

Vertical Farming ist keine Raketenwissenschaft

Obst- und Gemüseanbau ist keine Raketenwissenschaft. Aber manchmal scheint es, als wollten die Propheten der großen Transformation auf Feldern und Plantagen durchstarten. Unter dem Motto "Farming Forward" sollen mit neuen Technologien wie Drohnen, Künstlicher Intelligenz, Datenerfassung, Ertragskartierung und anderen digitalen Anwendungen bedeutende Fortschritte erzielt werden. Auf einzelnen Bühnen werden in den Messehallen Podiumsdiskussionen zu verschiedenen Aspekten im Zusammenhang mit der Zukunft der Controlled Environment Agriculture (CEA) veranstaltet. Zu diesen Themen gehören die Nachhaltigkeit der Indoor-Produktion, die Zukunftsfähigkeit der vertikalen Landwirtschaft (Vertical Farming) und neue Technologien. Ein spezielles Symposium widmet sich den neuesten Erkenntnissen in den Bereichen Überwachung von Pflanzenkrankheiten, Sicherheit der Lebensmittel, datengesteuerte Gewächshäuser, IoT-basierte Systeme, Automatisierung und Robotik. Die führende Fachmesse des globalen Fruchthandels gibt sich betont wissenschaftlich zukunftsbetont und stellt durchaus realistisch fest, dass auch weiterer Fortschritt im Vertical Farming nicht den konventionellen Obst- und Gemüseanbau ersetzen wird. Und nennt dazu augenzwinkernd ein einfaches Beispiel: Selbst, wenn man ganz Paris mit Rooftop-Gärten ausstatten würde, könnte man damit nur ein Drittel der Pariser Bürger mit frischem Obst und Gemüse ernähren.

After Work Good Vibrations

Bei so viel harter geistiger Arbeit ist von den Messebetreibern auch für Entspannung gesorgt. So ist für Fachbesucher ein Service eingerichtet, bei dem Frau oder Mann mit einem Gold Upgrade Zugang zu einer speziellen Lounge, der sogenannten "Gold-Lounge", und andere Annehmlichkeiten erwerben kann. Beliebt ist der Welcome-Coffee am Morgen zwischen 8.00 und 9.00 Uhr im Eingangsbereich der Halle 7 und die erstmalig eingeführten After-Work-Veranstaltungen zum Ausklang des Messetages im Lichthof zwischen Halle 1.1 und Halle 1.2. Auf denn, frei nach den Beach Boys, "pickin’ up good vibrations" and best Networking.

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