Die Berliner Theaterwelt hat eine großartige Aufführung erlebt! Die Premiere fand am 18. März dieses Jahres im Schlosspark Theater in Berlin Steglitz statt: "Biedermann und die Brandstifter" - ein Stück mit dem Untertitel "Ein Lehrstück ohne Lehre". Es stammt aus der Feder des Schweizer Schriftstellers Max Frisch und wurde bereits im Jahr 1958 uraufgeführt. Wieder einmal hatten der Intendant Dieter Hallervorden und sein Team mit der Auswahl gerade dieses Stückes eine ausgesprochen gekonnte und fachkundige, geradezu meisterliche Entscheidung getroffen. Denn es gibt derzeit wohl kaum ein Bühnenwerk, angesiedelt zwischen Drama und Burleske, das für den Zuschauer dermaßen aktuelle Bezüge und fast atemberaubende Parallelen zum gegenwärtigen Zeitgeschehen herstellt, ja geradezu erzwingt. Ist so eine Einschätzung nicht übertrieben? In keiner Weise. Die Geschichte, die Max Frisch erzählt, ist nur auf den ersten Blick schlicht und trivial. Man kann sie in zwei Sätzen wiedergeben: Der Haarwasserfabrikant Biedermann lässt zwei Brandstifter in sein Haus, obwohl er ahnt und dann später sogar weiß, dass sie es anzünden werden. Am Ende des Stückes tun sie das dann auch.
Die Triebfeder, die die Handlung des Stückes und die atemberaubende Fahrt bis hinein in die Katastrophe bestimmt, liegt in dem Kernsatz des Brandstifters Eisenring: "Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität. … Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die nackte und blanke Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand." Und den Beweis führt Max Frisch in kurios grotesker, düster tragischer und für manchen Zuschauer auch in Angst einflößender Art und Weise.
Der Brandstifter Schmitz schafft sich dreist Zugang zum Haus von Biedermann. Er stellt sich als arbeitsloser Ringer vor, bittet um Unterkunft und Brot. Er beklagt, dass er überall für einen Brandstifter gehalten wird, erzählt aber sofort freimütig, dass seine letzte Arbeitsstelle, ein Zirkus, abgebrannt ist, um dann Biedermanns Vertrauen und dessen kompromisslose Haltung gegenüber Brandstiftern zu loben. Babette, die Ehefrau von Biedermann, wird von Schmitz durch rührselige Geschichten über seine schwere Kindheit bei Köhlern im Wald und im Waisenhaus und mit plumper Koketterie eingewickelt. Die Biedermanns gefallen sich in der Rolle von Menschenfreunden und bringen Schmitz auf dem Dachboden unter. Noch in der Nacht transportiert er mit seinem Kumpan Eisenring mit Getöse Benzinfässer auf den Dachboden.
Foto von Schlosspark Theater/DERDEHMEL/Urbschat
Der Chor der Feuerwehr stellt Biedermann wegen der Benzinfässer zur Rede. Frisch setzt mehrmals im Stück den Chor - ein aus der griechischen Tragödie entlehntes Stilmittel - als Stimme der Vernunft ein, die den Bürger warnt und Unheil kommentiert. Biedermann schlägt die Warnungen in den Wind und verbittet sich die Einmischung in seine häuslichen Angelegenheiten. Doch die Angst des Ehepaares Biedermann wächst und sie laden die beiden Brandstifter zum Essen ein, um sie für sich einzunehmen. Selbst als die beiden Brandstifter sich offen zu erkennen geben, vertraut er ihnen immer noch. Als Beweis dafür trinkt er mit ihnen Brüderschaft und händigt ihnen dann auch noch die Streichhölzer aus. Dann brennen Biedermanns Haus und die ganze Stadt. Der Chor der Feuerwehrleute tritt wieder auf, kommentiert die Sinnlosigkeit des Geschehens als Folge der Dummheit und bedauert, erst gerufen zu werden, wenn es brennt und es damit zu spät ist.
Für das Finale wurde von Max Frisch noch ein Nachspiel angefügt. Biedermann und seine Frau Babette befinden sich mit brandbefleckter Kleidung in der Hölle. Schmitz tritt als Beelzebub auf und Eisenring in der Figur des Teufels. Das Ehepaar Biedermann beteuert seine Unschuld an dem Brand. Und sie erfahren, so die Schlusspointe von Max Frisch, dass die Hölle streikt, weil der Himmel eine Amnestie für alle hochgestellten Persönlichkeiten erlassen hat. Beelzebub und der Teufel wollen wieder zurück auf die Erde, um das Unheil wieder selbst in die Hand zu nehmen. Natürlich ohne Streichhölzer, die bekommen sie von den Biedermännern dort.
Atemberaubend ist die Inszenierung der Vorboten des Unheils, die dem Zuschauer in Erinnerung bleiben: Wie die Brandstifter Benzinfässer auf dem Dachboden lagern und Biedermann auf die Frage eines Polizisten erklärt, es handele sich um Haarwasser. Wie Biedermann eigenhändig hilft, auf dem Dachboden eine Zündschnur zu basteln und er das immer noch als Scherz abtut. Wie Biedermann seinen Mitarbeiter Knechtling skrupellos entlässt und nach dessen Selbstmord der Grabkranz in sein Haus geliefert wird und er als Inschrift auch noch seinen eigenen Namen lesen muss. Wie Schmitz den "Geist von Knechtling" mimt und der Jedermann-Ruf zum Biedermann-Ruf wird. Und wie schließlich die Brandstifter als Vertrauensbeweis den Hausherrn um Streichhölzer bitten und er sie ihnen übergibt. Von dem Klassiker "Biedermann und die Brandstifter" existieren eine Vielzahl von Aufführungen wie auch Bearbeitungen und Fassungen, manche verzichten auf das Nachspiel. Andere wollen Zeitgeschmäcker bedienen und vordergründig aktuelle politische Parallelen ziehen. Dankenswerterweise hat sich das Schlosspark Theater an die Ur-Fassung von Max Frisch gehalten und eine straffe Aufführung ohne Abschweifungen und Exkurse geboten. Leider hat in der Fassung des Schlosspark Theaters die Figur des Intellektuellen Dr. phil. keinen Platz gefunden. Er hat im Original zwar nur eine kleine Rolle, nämlich die des ideologischen Brandstifters, der erst unmittelbar vor dem Brand auftaucht, um sich wortreich von der Brandstiftung zu distanzieren. Er wollte die Welt verändern, aber er hat nicht durchschaut, dass die Brandstifter aus Lust an der Zerstörung handeln. Sicherlich eine Figur bei Max Frisch, die zusätzlich zur Diskussion anregt und provoziert.
Einen großen Anteil an dem Erfolg des Stückes hat die Regie des auch international bekannten Philip Tiedemann, der in den letzten zehn Jahren schon ein knappes Dutzend Theaterstücke hier in Steglitz inszenierte. Ihn fasziniert an dem Biedermann-Stück "die einfache Fabel, die anschaulich darstellt, wie es zu einer Katastrophe kommt: nachvollziehbar, erwartbar, vorhersehbar." In der Regieassistenz fungierte Nathalie Hallervorden, die Tochter des Intendanten. Dieter Hallervorden erklärte bei der Vorstellung auf der Premierenfeier stolz, dass er seine Tochter für die Inszenierung erfolgreich aus London abgeworben habe.
Foto von Schlosspark Theater/DERDEHMEL/Urbschat
Es wird keine geringe Zahl von Besuchern geben, die den Grand Seigneur des Schauspiels Dieter Hallervorden in der Hauptrolle des Gottlieb Biedermann sehen wollen. Hallervorden schafft es, der Figur des Biedermann sehr realistisch die Züge des Mitläufers und Opportunisten zu geben. Überzeugend auch die Mitspieler, beginnend bei Babette Biedermann (Christiane Zander) und dem Dienstmädchen Anna (Dagmar Biener). Deren Auftritte mit dem Hochpusten von Haarsträhnen aus stillem Protest gegen ihre Herrschaften war ein eleganter Regie-Gag. Sehr stimmig und abgefeimt werden die zwei Brandstifter Schmitz (Georgius Tsivanoglou) und Eisenring (Mario Ramos) dargestellt. Als unmittelbare Gegenspieler von Biedermann verkörpern sie glaubhaft die Dreistigkeit und Unverfrorenheit der Brandstifter. "Biedermann und die Brandstifter" hat in den letzten Jahrzehnten bis heute unzählige Aufführungen erlebt und avancierte sogar zum Schulstoff im Deutschunterricht. Der enorme Erfolg des Stückes beruht sicherlich auch darauf, dass Frisch weder im Stück selbst noch in Interviews darauf eine Antwort gab, wer die Brandstifter wirklich sind. Er wollte ein Lehrstück ohne Lehre verfassen. Viele Beobachter sahen die Parabel über die Brandstifter vielfach anwendbar, da das Stück mit seinem Thema so vollkommen zeitlos irre ist. Gilt die Parabel nicht auch für die Nuklearwaffen, wenn heutzutage wieder Brandstifter aus strategischem Überlegen mit dem großen Feuer, der Atombombe, gokeln wollen? Und werden gelegte Lunten, versehen mit vielen "guten" Gründen, aus Dummheit oder Feigheit geduldet?
Ein Resümee des Stückes besagt, dass die Menschen im Stück nichts dazu lernen. Biedermann erleidet aus Feigheit, Dummheit und Verblendung ein Schicksal, das vermeidbar wäre. Es wird die Vorhersehung des feigen Mitläufers gezeigt, ohne Standhaftigkeit und ausreichend Gehirn. Ein Opfer, der zugleich Helfershelfer ist. Treffend ist auch der heute wieder öfter strapazierte Begriff des bourgeoisen Opportunismus. Da fällt mir spontan eine Sentenz von Peter Scholl-Latour ein. Er spricht in einem Interview im März 2014 davon: "Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung". Aber wenn die Figuren im Stück nichts dazu lernen, bedeutet es nicht zwangsläufig, dass beim Zuschauer des Stücks keine Nachdenklichkeit ausgelöst wird. Im Gegenteil, das Stück fordert den Zuschauer auf, sich der Realität zu stellen und sich nicht manipulieren zu lassen.
Das Premierenpublikum bedankte sich mit stehenden Ovationen. "Biedermann und die Brandstifter" steht noch bis zum 30. April auf dem Spielplan des Schlosspark Theaters.