Das Museum als Seminar für Fontanes Sprache

In Neuruppin ist der Pulverdampf der ersten großen Schlachten um den berühmten Sohn der Stadt, Theodor Fontane mittlerweile verraucht.
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures

Die Fontane-Feierlichkeiten, anberaumt von Ende März bis zu seinen 200. Geburtstag am 29. Dezember, haben in Kürze Halbzeit. Der Projektleiter der Stadt Mario Zetzsche kann unbestritten und völlig berechtigt eine sehr positive Bilanz ziehen. Die Stadt sei Bühne geworden, die Bevölkerung identifiziert sich mit dem Fontane-Jahr und nimmt regen Anteil an der Fülle von Veranstaltungen. Anders als zum Jubiläum 1998 zum 100. Todestag des Dichters. Da wäre eher ein elitärer Kreis von Experten unter sich geblieben. So das Urteil des Neuruppiner Zetzsche. Doch an einem Ort der Stadt scheint diese Vergangenheit mit ihrem elitären Kreis von Experten die Gegenwart des Jahres 2019 einzuholen. In der Leitausstellung mit dem Titel "Fontane.200/Autor" im Museum Neuruppin. Es beginnt ganz praktisch schon mit diesem Namen der Ausstellung, der zunächst unzweckmäßig oder vielleicht sogar ungeeignet erscheint. Der Titel kommt eher daher wie ein Verweis auf ein Seminar im Germanistik-Studium. Der Feuillton-Chef der FAZ Spreckelsen empfand den Titel als sperrig. Aber wie ein Rundgang bestätigt, hat die gesamte Ausstellung mit diesem Attribut zu kämpfen. An prominenter Stelle lässt die Kuratorin der Ausstellung in großen Buchstaben die Frage stellen, wieso es sich lohnt, heute noch Fontanes Romane zu lesen und gibt gleich die Antwort: "Weil sie uns zeigen, wie sehr sich jede und jeder von uns mit der Sprache erfindet." Damit wird dem bislang ahnungslosen Besucher die Richtung der Ausstellung klar vorgegeben. Sie drückt sich in den Überschriften der drei großen wichtigsten Ausstellungsräumen dann wie folgt aus: "Fontanes Erfindungen.Texten", "Fontanes Kopf.Schreiben" und "Fontanes Wörter.Mixen". In dem Ausstellungsraum "Fontanes Erfindungen.Texten" ist die Ausgestaltung besonders phantasiereich. Der Fußboden ist mit teilweise eng aneinander liegenden unterschiedlichen farbigen Begriffen und Namen übersät, auf roten schmalen Plaste-Bändern sind kurze Fontane-Zitate aufgemalt und einige große Pappmachè-Würfel mit Informationen beschriftet hängen von der Decke. Wenn der Besucher den richtigen findet, erfährt er, dass es sich in dem Raum hauptsächlich um den Roman "Effi Briest" dreht, danach kann er Namen und Zitate im Raum besser zuordnen. Schließlich sind an einer Wand sieben Monitore angeordnet. Auf ihnen werden fortlaufend insgesamt 13 Fontane-Literatur-Spezialisten abgebildet. Sie haben sich sozusagen ein Denkmal gesetzt und es werden von ihnen im Wechsel Zitate gezeigt. In einem anderen Raum werden 13 Lieblingswörter aus den 600 typischen Fontane-Wörtern aufgelistet und neue Wortschöpfungen Fontanes präsentiert wie "Ängstlichkeitsprovinz". Die Ausstellungsmacher haben hier auch an alle diejenigen gedacht, die von diesem bunten Angebot erschöpft sind. Insgesamt acht gelbe Liegestühle mit Fontane Symbolen laden in einem Raum zur Erholung ein. Die FAZ wie auch andere Journalisten finden es durchaus mutig, den scheinbar vertrauten Autor Fontane auf diese Weise zu präsentieren und sich demonstrativ von der herkömmlichen Museumspädagogik zu verabschieden. Mir scheint es vielmehr bei den Kuratoren an Mut zu fehlen, dem durchschnittlich interessierten normalen Publikum den so vielfältigen Fontane als Apothekergehilfe, Journalist, Kriegsberichterstatter und Schriftsteller, als Familienmensch und Zeitgenosse im ausgehenden 19. Jahrhundert in Deutschland zu präsentieren. Die Fontane-Kenner und -Spezialisten werden die Neuruppiner Ausstellung sicher sehr anregend finden. Doch wurden insgesamt viele Möglichkeiten verpasst, dem breiten Publikum die ambivalente Haltung Fontanes zum von Adel, Militär und Krieg geprägten preußischen Staat ausführlicher darzustellen und zu erörtern. Damit einhergehend kommt auch die Rolle von Fontane als der Heimatdichter im besten Sinne viel zu kurz. Mit seinen "Wanderungen durch die Mark" und mit seinem Spätwerk "Der Stechlin" hat er herrliche Reiseführer durch die Natur und die Geschichte Deutschlands geschaffen. Sein Wissen über heute wieder aktuelle Themen und seine Lust und Laune, darüber zu plaudern, können in heutigen Diskussionen über Land und Leute durchaus hilfreich sein. In der Leitausstellung in Neuruppin ist dazu eine große Chance verpasst. Dann gilt umso mehr die Aufforderung: Lest mal wieder selbst im alten Fontane.

Das Fontane-Gesamtprogramm und die Leitausstellung in Neuruppin laufen bis einschließlich 30.12.2019

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

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