Schuster bleib bei deinem Leisten

Nicht nur die Produkte, sondern die Themen der Landwirtschaft sind derzeit in aller Munde. Die mittlerweile 85. Grüne Woche unter dem Berliner Funkturm vermeldet eine Rekordbeteiligung von 1.800 Ausstellern aus 72 Ländern.
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures
Ronald Keusch, Foto von ESDES.Pictures

Diese globale Leitmesse für Landwirtschaft wird wie nie zuvor dominiert von den Trendthemen Klima, Nachhaltigkeit und umweltfreundliche Produktion. Zur gleichen Zeit sind in Berlin wie in ganz Deutschland Protest-Demonstrationen von Bauern mit ihren Traktoren unterwegs. Sie protestieren unter der großen Überschrift "Land schafft Verbindung" gegen die neue Düngeverordnung und für faire Preise. Eine der Losungen, die an ihren Traktoren zu lesen ist, lautet: "Sie pflügen nicht, sie säen nicht, sie ernten nicht und wissen alles besser." Dieser Vorwurf von demonstrierenden Bauern zeigt, wie gering aus ihrer Sicht die tägliche harte Arbeit auf dem Feld und im Stall überhaupt von der Öffentlichkeit wahrgenommen und anerkannt wird. Viel zu viele ideologisch aufgeladene Parolen werden von Medien, NGOs und Politikern in die Welt geblasen, ohne auch nur annähernd die Komplexität einer umweltschonenden Landwirtschaft zu erfassen, die auch einen Versorgungsauftrag hat und zudem auch noch ihre Erzeuger ernähren soll. Eine Anhäufung an Worthülsen gab es denn auch auf der abendlichen Eröffnungsveranstaltung der Grünen Woche zu hören. Darunter die Visionen des Grünen Dr. Dirk Behrendt, aktueller Berliner Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, vom Ende der konventionellen Landwirtschaft, ohne sich tiefgründig mit den Folgen und Konsequenzen auseinanderzusetzen. Demgegenüber die klare und einfache Forderung der demonstrierenden Bauern: "Die alles besser Wissenden" haben unabdingbar, ohne moralisierenden Hochmut mit denen in den Dialog zu treten, die pflügen, säen und ernten. Das Wissen, die Erfahrung und die Kompetenz vieler Bauerngenerationen sowie seriöse Wissenschaft und Forschung sind die zwei wichtigsten Grundlagen, um sich den heutigen Herausforderungen ernsthaft zu stellen und sie im Interesse der gesamten Gesellschaft zu bewältigen. Auf der Grünen Woche hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in der Halle 23a dankenswerter Weise eine große Bühne für den Dialog geschaffen. Hier sprach der 30jährige Landwirt Christoph Selhorst aus Ascheberg im Münsterland über seine Arbeit. Der Familienbetrieb besteht nunmehr in 13. Generation. Der Bauernhof hat 3.000 Mastschweine, deren Futter zu 90 Prozent auf dem 150 Hektar großen eigenen Acker geerntet wird. Der Familienbetrieb bekennt sich zur Nachhaltigkeit. Doch wenn es um Umweltschutz geht, auch um den Schutz ihrer unmittelbaren Umwelt, dann will er und seine Familie auch über solche Reizthemen wie Pflanzenschutz, Düngung oder Tierwohl und artgerechte Haltung mitreden. Und dann stellt sich die Frage: Wer soll beispielsweise in Schweineställen einen Auslauf für die Tiere bezahlen? Es gibt schier unzählige Aufgaben, die nicht mit ein paar mehr Kilogramm Ideologie zu lösen sind. Können Soziologie- und Philosophie Studierende Detailfragen der Fruchtfolge auf dem Feld erklären? Können Gender-Studenten Strategien gegen das invasive Auftreten von Schadkäfern entwickeln, die in Gegenden mit einem hohen Aufkommen an Ökohöfen bereits heute ganze Ernten vernichten? Können Studierende der Landwirtschaft detailliert über Aristoteles oder ein Dutzend verschiedene Geschlechter referieren? Schuster bleib bei deinem Leisten! Aufgrund der Folgen des Klimawandels werden sich nicht nur die konventionellen Betriebe, sondern auch der Öko-Landbau in Zukunft mit ganz neuen Problemen konfrontiert sehen, die alle Bereiche der Gesellschaft fordern. Angesichts dessen verbieten sich alle vorschnellen Urteile und einseitige Schuldzuweisungen. Wie auch bei anderen großen Themen in der Gesellschaft ist das Wissen um die Natur und ihrer Gesetze gefragt. Auch wenn sich das Wünschenswerte scheinbar alternativlos anbietet, kann die Ideologie keine Gesetze der Mathematik und Physik oder Biologie außer Kraft setzen. Windmühlen und Solarzellen können allein keine kontinuierliche Stromversorgung garantieren und der Strom lässt sich auch nicht im Netz wie in einer Wasserleitung einlagern. Der großflächige Verzicht auf Düngung und Pflanzenschutz führt zum Ruin vieler Bauernfamilien und kann mittelfristig die Menschheit nicht ernähren. Der große Verdienst auch vieler junger Leute, Probleme der Umwelt und der globalen Klimaveränderung eindringlicher als in früheren Jahren auf die Tagesordnung der Menschheit zu setzen, ist in der Gesellschaft weitgehend unbestritten und hochgeschätzt. Doch dieser Schwung kann nur mit der Verbindung von Wissen, Kompetenz und Erfahrung zu den besten Lösungen führen.

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

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