Post vom Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt

Wie eine Senatsumfrage zum Berliner Kulturleben die politischen Narrative unserer Zeit bedient.

Fragebogen. Foto von ESDES.Pictures
Fragebogen. Foto von ESDES.Pictures

Vor kurzem habe ich Post erhalten vom Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Joe Chialo: Einen 20-seitigen A4-Fragebogen. Ich wurde auserwählt, Auskunft zum Freizeitverhalten in Berlin zu geben. Es heißt im Anschreiben, wir wollen "Ihre aktuellen Bedürfnisse und Vorlieben besser verstehen, um das Kultur- und Freizeitangebot in Berlin weiter zu verbessern." Eigentlich eine gute Sache, denke ich, und mache mich über die Fragen her. Schon bei Frage 2 stutze ich: "Ganz allgemein, wie sehr interessieren Sie sich für die folgenden Themen". Ich lese erstaunt die folgenden 9 Auswahlthemen: Auto/Motorsport, Schönheit/Beauty, Tattoos/Piercings, Soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Geld und Anlagevermögen, vegetarische/vegane Ernährung, Kochen/Backen und Profi-Fußball. Was eigentlich will der Senator aus diesen Antworten entnehmen, um das Kulturangebot in Berlin zu verbessern? Mehr oder weniger Geld für Union und Hertha? Piercing-Studios fördern oder schließen? Die Kulturbetriebe verpflichten, veganes Essen anzubieten - oder doch eher Kuchen, wenn die Umfrageteilnehmer sich mehrheitlich als Leckermäuler outen?

Dann Fragen zu den Freizeitangeboten in Berlin, von Kino, Bibliotheken, Musikunterricht, Volksfesten bis zu Konzerten und Ausstellungen, ob man mit den Angeboten zufrieden ist, wieweit man sie nutzt und was mich daran hindert, sie mehr zu nutzen. Ich wundere mich über einige der Antwortmöglichkeiten, wie die Forderung nach mehr Corona-Hygienemaßnahmen vor Ort. Hat hier jemand den Fragebogen vor zwei Jahren entworfen und vergessen, ihn zu aktualisieren - oder hat da schon jemand Einblick in irgendwelche Geheimdokumente des Lauterbach-Ministeriums zur Vorbereitung der nächsten menschengemachten Pandemie?

Dann wird es in Frage 18 richtig seltsam, wenn man beschreiben soll, wie man seinen eigenen Alltag gestaltet: "Ich umgebe mich sehr gern mit einem gewissen Luxus" oder "Ein gepflegtes Äußeres ist für mich besonders wichtig" oder "Ich finde die Verwendung geschlechtergerechter Sprache ("Gendern") grundsätzlich gut". Aha, denke ich, da will wieder jemand eine Korrelation herstellen, nach dem Motto: Diejenigen Berliner, die das Gendern ablehnen, besuchen auch keine Diskotheken, und diejenigen, denen ein regelmäßiger Urlaub zu teuer ist, sind auch keine Theater- oder Konzertgänger. Und vermutlich tappen die Meinungsforscher bei der Auswertung der Umfrage dann wieder in die Korrelations-Kausalitäts-Falle und kommen zu absurden Schlussfolgerungen. Ich hoffe, sie haben gute Statistiker in ihrem Team, die ihnen das Verhältnis von Ursache und Wirkung erklären. Ganz ärgerlich wird es dann bei den Fragen 20a und 20b. (Hat hier irgendjemand noch die Frage 20b eingeschoben und sich nicht mal die Mühe gemacht, eine Neu-Nummerierung vorzunehmen?) Es geht um das Thema "Diskriminierung". Bin ich schon einmal bei einem Kulturbesuch diskriminiert worden? Habe ich schon mal bei Kulturbesuchen Diskriminierung gegenüber mir oder anderen Personen wegen Geschlecht, sexueller Orientierung, ethnischer Herkunft, Rassismus, Antisemitismus, Religion, Alter, Sprache oder Körpergewicht erlebt? Wurde ich schon mal als "fremd" oder nicht "weiß" wahrgenommen? Und dann natürlich die unvermeidliche Frage Nummer 22, ob ich mich selbst zu den "Person of Colour", "Schwarz", "Afrodeutsch", "Jüdisch", "Russlanddeutsch", "Russischsprachig jüdisch", "Polnisch-Deutsch", "Arabisch", "Asiatisch-Deutsch", "Türkisch-Deutsch", "Muslimisch" oder "Sinti und Roma" zähle, oder ob ich - Gott behüte - "Weiß" bin. Also als Rumänien-Deutsche würde ich jetzt schwer beleidigt sein, ja mich fast diskriminiert fühlen, dass ich da nicht erwähnt wurde, und als Ukrainer oder Ukrainerin sowieso.

Spätestens jetzt beschleicht mich das Gefühl, dass diese ganze Umfrage zum Freizeitverhalten nur entworfen wurde, um genau diese Fragen zu stellen. Geht es wirklich darum, das Kulturangebot für alle Berliner zu verbessern, oder will man wieder nur das Narrativ bedienen, dass sich Menschen in unserer Stadt, aus welchen Gründen auch immer, diskriminiert fühlen?

Niemals habe ich in meinem Leben andere Mitbürger diskriminiert, gleich welchen Geschlechts, welcher Ethnie, welcher Hautfarbe. Und ich weiß, wovon ich rede, ich habe in meinem Berufsleben in internationalen Projekten mit Kolleginnen und Kollegen aus vielleicht 50 verschiedenen Ländern wunderbar zusammengearbeitet, auf allen Kontinenten von Südafrika, Indien, China bis Australien. Toleranz und ein diskriminierungsfreies Umfeld gehörten zum Code of Conduct unseres Unternehmens und wurden ganz selbstverständlich gelebt. Das musste nicht verordnet werden. Ich habe bei meinen zahlreichen Kulturbesuchen - egal in welchem Land - auch keinerlei Rassismus gegen irgendwen erlebt.

Ich erlebe ihn heute, tagtäglich! Die um sich greifende Russophobie, das Canceln von russischen Künstlern, Schriftstellern, Komponisten, Malern - das ist Rassismus. Die Vorverurteilung einer erfolgreichen Band wie Rammstein und die nachdrückliche Forderung ihres Verbots - das ist Diskriminierung pur. Dass Autoren und Künstler wie Monika Maron oder Ulrike Guérot oder Uwe Steimle gecancelt werden, dass ihre Verleger und Veranstalter bedroht werden - das ist nicht nur Diffamierung, das sind Berufsverbote, das ist Existenzvernichtung. Da sind die unseligen Diskussionen um die Kostüme einer Laien-Tanzgruppe, um Frisuren wie Dreadlocks und Braids, oder um Kinderbücher von Huckleberry Finn, Pippi Langstrumpf bis Winnetou. Da ist die Demolierung von Denkmälern, von Columbus bis Puschkin. Da ist die Debatte um das Kuppelkreuz auf dem Berliner Schloss. Da sind die Bilderstürmer, die Kunst aus Museen, Ausstellungen oder dem öffentlichen Raum entfernen lassen, ob nun Eugen Gomringers "Avenidas" von der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule oder im Zuge der MeToo-Debatte Gemälde von freizügig bekleideten Frauen aus den Galerien. Weil in den Tänzen des Nussknacker-Balletts Haremsdamen, Chinesen mit Trippelschritten und zwei mit dunkler Farbe geschminkte Kinder auftreten, cancelte das Berliner Staatsballett in vorauseilendem Gehorsam seinen größten Publikumsrenner, wegen angeblicher kultureller Aneignung. Und da ist die Entfernung von Begriffen aus unserem Sprachgebrauch, wie zum Beispiel den Begriff "Mohr" (Stichwort "Mohrenstraße"), weil ihm eine rassistische Bedeutung zugeschrieben wird, die er nie hatte. Etymologisch ist es mit dem Mauren, der Bezeichnung für nordafrikanische und spanische Araber, ebenso verwandt wie mit dem heiligen Mauritius, der oft mit dunkler Hautfarbe dargestellt wurde.

Eine Welle des Aufschreis ging durch die westliche Welt, als die Terrormiliz Islamischer Staat im Norden des Iraks in Mossul und an der Grabungsstätte Ninive jahrtausendalte Bildwerke aus der Antike zerstörte. Als im Jahr 2001 die Taliban in Afghanistan die Buddha-Statuen von Bamiyan sprengten, gab es weltweite Proteste. Wo war eigentlich der Aufschrei bei uns, als die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz äußern konnte, dass "eine spezifisch deutsche Kultur jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar" ist? Wer eigentlich schützt unser nationales Kulturerbe in Deutschland heute? Müsste das nicht im Zentrum einer Umfrage des Berliner Kultursenators stehen?

Nein, Unsere Kunst- und Kulturlandschaft in Berlin und in ganz Deutschland ist nicht dadurch bedroht, dass die Kartoffeln - so nannte die selbsternannte Kartoffelexpertin Ferda Ataman die weißen Deutschen - alles und jeden, der anders aussieht, vermeintlich diskriminieren, sondern dass eine woke Blase mit ihrer Cancel Culture und ihrem Hass auf die westliche Kultur unser Kulturerbe systematisch zerstören will!

Der Österreichische Philosoph und Essayist Konrad Paul Liessmann beschreibt diese heutige Situation sehr treffend: "Seit einiger Zeit wird aufgeräumt und sauber gemacht. Schmutzige Gedanken und Worte werden verbannt, unliebsame Autoren und Wissenschaftler gemobbt, Redner werden am Sprechen gehindert, Denkmäler gestürzt, die Spielpläne von Theater- und Opernhäusern von rassistischen und sexistischen Stücken befreit, Museen entledigen sich ihrer Beutekunst und distanzieren sich von den Machwerken weißer Männer und Frauen, und die Literatur vergangener Tage wird nach den moralischen Maßstäben der Gegenwart umgeschrieben. Die Stimmen bislang unterrepräsentierter ethnischer, religiöser und sexueller Minderheiten und Gruppen wollen nicht nur gehört werden, sie wollen andere zum Schweigen bringen."

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auf dem Kahlschlag, den Cancel Culture anrichten wird, die politisch genehmen zweitklassigen Künstler ansiedeln werden. So wie Tucholsky das schon 1933 in seinem schwedischen Exil vorausgesehen hat: "Da kommen sie nun aus allen Löchern gekrochen, die kleinen Provinznutten der Literatur, nun endlich, endlich ist die jüdische Konkurrenz weg - jetzt aber! […] Lebensgeschichten der neuen Heroen. Und dann: Alpenrausch und Edelweiß. Mattengrün und Ackerfurche. Schollenkranz und Maienblut - also Sie machen sich keinen Begriff, Niveau null." Vielleicht ist "Alpenrausch und Ackerfurche" nicht mehr ganz so angesagt, aber ganz bestimmt sind es Gendersternchen und MeToo Hashtags.

Übrigens: In dem gesamten Fragebogen werde ich nicht ein einziges Mal gefragt, was denn meine Vorschläge zur Verbesserung des Kulturangebotes in Berlin wären. Ich hätte da einige. Zum Beispiel: Kostenloser Besuch aller staatlichen Museen, so wie in Großbritannien. Die Museen dort sind voll und gerade an Wochenenden ein beliebtes Ausflugsziel für Familien. Kunst für alle und umsonst. Oder: Ermäßigungen für Rentner in Theatern, Parks und bei kulturellen Veranstaltungen, zumindest an Wochentagen. Da muss man nicht mal über die Landesgrenzen schauen, die Berliner Stern+Kreis Schifffahrt praktiziert genau das - und es wird sehr gut angenommen. Wie habe ich die Frage 22 nach meiner Hautfarbe beantwortet? Ganz einfach: I am human! So wie alle anderen, die an der Umfrage teilnehmen und sich mehr und bessere kulturelle Angebote in Berlin wünschen - und zwar für alle!

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

Bei Magazin CHEXX werden Cookies und andere Technologien verwandt. Durch Anklicken des Buttons Akzeptieren stimmen Sie der Verwendung zu. Ausführliche Informationen hierzu finden Sie unter Datenschutzerklärung.