So ist das Leben - aber wirklich

Premiere des Tschechow-Stückes "Onkel Wanja" im Schlosspark Theater.

Boris Aljinovic, Foto von ESDES.Pictures
Boris Aljinovic, Foto von ESDES.Pictures

Ein weiteres Mal ein Paukenschlag unüberhörbar für die Berliner Theaterszene aus dem Schlosspark Theater in Berlin Steglitz. Am 2. September wurde eine glanzvolle Premiere mit dem Meisterwerk von Anton Tschechow "Onkel Wanja" gefeiert. Das Premierenpublikum spendete begeistert Beifall. Für diese erfolgreiche und geglückte Inszenierung des Stücks "Onkel Wanja" mit dem Untertitel "Ein Leben in vier Augenblicken" gibt es eine ganze Reihe von Gründen.

Da ist zunächst das Stück selbst vom Altmeister Anton Tschechow. Es gehört zweifellos nicht allein zu den erfolgreichsten Stücken Tschechows, sondern ist auch eines der meistgespielten Stücke in der neueren europäischen Theatergeschichte. Es werden Menschen geschildert, die in ihrer Existenz gescheitert sind. Sie sind gefangen in ihrem Umfeld, aus dem sie nicht fliehen können. Sie haben keine Kraft und auch nicht den Mut, etwas zu verändern. So flüchten sie in Langeweile und Nichtstun. Tschechow malt ein zeitloses Porträt der Gesellschaft, das ein internationales Publikum damals wie heute anspricht.

Die Handlung des Stückes ist rasch erzählt. Onkel Wanja verwaltet dienstbeflissen das Landgut seiner verstorbenen Schwester. Der Witwer ist der pensionierte Professor Serebrjakow, der aufs Landgut kommt und jeden mit seinen eingebildeten Krankheiten und seiner Lethargie nervt. Onkel Wanja hat ihn einst verehrt und sich auf dem Gut für ihn abgerackert, um sein Leben in der Stadt zu finanzieren. Doch jetzt hat er ihn durchschaut als einen Scharlatan, der sich mit großer Kunst beschäftigt und nichts davon versteht. In Begleitung des Professors ist seine neue junge und schöne Ehefrau Jelena, die sich langweilt und allen Männern den Kopf verdreht.

Der Landarzt Astrow wirbt um die junge Gattin des Professors, doch die Liebelei endet, bevor sie anfangen kann. Als der Professor mit ständiger Geldnot äußert, das Gut verkaufen zu wollen, ist Onkel Wanja empört, denn sein Lebenswerk und die einzige Rechtfertigung seines freudlosen Daseins ist in Gefahr. Er versucht den Professor zu erschießen. Dieser reist daraufhin mit seiner jungen Ehefrau überstürzt ab und letztlich bleibt alles beim Alten. Es fehlt allen Beteiligten Mut, Kraft und Entschlossenheit, an ihrer Situation etwas zu ändern. So ist halt das Leben - das ist die etwas trostlose Botschaft von Tschechow, die aber mit Mitgefühl, Verständnis und Humor erzählt wird.

Ein gewichtiger Grund für diesen Theatererfolg ist bei dem Regisseur Anatol Preissler zu finden. Er ist ein viel gefragter Theatermann mit über 100 Inszenierungen an Kellertheatern genauso wie an Stadt- und Staatstheatern. Für dieses Tschechow-Stück gibt es wohl kaum eine bessere Wahl als ihn. Denn es ist sein Lebenstraum, "Onkel Wanja" zu inszenieren. Mit so viel Herzblut ist es dann auch möglich, Tschechow zu aktualisieren und in die heutige Zeit zu bringen. In Preisslers neuer Übersetzung versteht der Zuschauer besser, warum Tschechow das Stück als Komödie titulierte. Hinzu kommt, dass er bereits vor knapp zwei Jahren bei seiner Inszenierung des "Onkel Wanja" am Ernst Deutsch Theater in Hamburg mit der neuen Textfassung Erfahrungen sammelte.

In Berlin arbeitete er dann noch einmal mehrere Wochen mit den Schauspielern an den Dialogen des Textes. Und er setzte als Regisseur seine Akzente. Das beginnt beim Dauer-Szenenbild, das den russischen Gutshof mit geschickt designten Türen und Wänden in den Farben Rot und Blau entwirft und mit vielen liebevollen Details aufwartet. Wann entwirft ein Regisseur schon mal ein Bühnenbild?

Viele originelle Regie-Details bleiben in Erinnerung wie z. B. ein breiter roter Wollschal, der im Verlauf des Stückes immer länger wird und sich schließlich aus dem Strickzeug der alten Amme über die ganze Bühne wie ein roter Teppich erstreckt. Da spricht eine Figur im Stück, die Matriarchin und Mutter von Wanja, unsichtbar nur über einen Lautsprecher und da klingelt für den Landarzt Astrow mehrmals das Telefon in seiner Arzttasche und er telefoniert mit einem kabellosen Telefonhörer.

Doch die entscheidende Regieleistung sind die mit den Schauspielern erarbeiteten Texte und der Einsatz und das Tempo der Dialoge. Ausgesprochen wirkungsvoll sind die eingesetzten Musikstücke, russische und ukrainische Volkslieder, der Song "Karl der Käfer" - einer der ersten Umweltsongs und Hit der 80er Jahre - mit dem Astrow seine Kritik am menschlichen Raubbau des Waldes zum Ausdruck bringt, und die Live-Gitarrensolos des verarmten Gutsbesitzers Telegin.

Tief beeindruckend ist die Schlussszene dieses alltäglichen Dramas, in der alle Schauspieler versammelt sind: Alles geht so weiter wie vorher, Onkel Wanja rechnet traurig an einer Rechenmaschine, seine Nichte Sonja versucht, ihm damit Trost zu spenden, dass sie nach dem Tod noch genug Muße zum Ausruhen hätten, der mit Ehefrau abgereiste Professor steht allein vor einer Mauer seiner Karriere, und ein melancholischer englischer Song "we don’t belong here" bringt uns näher: So ist das menschliche Leben, damals wie heute.

Nicht zu vergessen die Binsenweisheit: Ein Theatererfolg wird maßgeblich durch die Schauspieler auf der Bühne getragen. Hier fand sich ein außergewöhnlich gut harmonierendes Ensemble zusammen, mit Boris Aljinovic, Tilmar Kuhn, Helen Barke, Dagmar Bernhard, Dagmar Biener, Mario Ramos und Mark Weigel.

Eine besondere Rolle hatte Boris Aljinovic in der Rolle des Onkel Wanja zu absolvieren. Ihm gelang es, den Zwiespalt und die Tristesse des Gutsverwalters zu verkörpern, der sich vom Leben so betrogen fühlt, aber nicht aus seinem Schicksal auszubrechen vermag.

Auf der Premierenfeier ließ sich beim Fotoshooting des Schauspiel-Ensembles Intendant Dieter Hallervorden zu dem Ausspruch hinreißen: "Der Barlog kann von seiner Wolke zufrieden auf sein früheres Theater herunterblicken." Die Theaterlegende Boleslaw Barlog leitete nach dem Krieg für 27 Jahre das Haus und inszenierte mehr als 100 Theaterstücke. Und Hallervorden hat durchaus Recht mit seiner etwas verschmitzten Bemerkung. Als er im Jahr 2008 das Schlosspark Theater erwarb, lästerte die Berliner Szene, dass die Verbindung von Hallervorden mit dem Schlosspark Theater nur ein Jahr dauern wird.

Ein kurzer Blick auf seine neue Theatersaison und seine insgesamt fünfzehnte Spielzeit belehrt alle eines Besseren. Hier wird Begeisterung für das wirklich einzigartige "Erlebnis Theater" geweckt und aufrechterhalten.

Im Mittelpunkt der neuen Spielzeit stehen neben "Onkel Wanja" noch drei weitere Eigenproduktionen. "Die Maria und der Mohamed" ist eine ans Herz gehende Gesellschaftskomödie über Flucht, Trauma und Menschenwürde. Im Januar 2024 kommt die Komödie "Knapp daneben ist auch vorbei" über die Diva der falschen Töne. Ein Erfolgsstück aus dem Londoner Westend, bei der auf der Pressekonferenz die Hauptdarstellerin Antje Rietz einen Nachweis ihrer Gesangskunst in der Rolle der "Königin der Nacht" brachte. Sie - ausgebildete Sängerin, Musikerin und Schauspielerin - hat für diese Rolle noch einmal extra Gesangsunterricht genommen, denn auch falsche Töne müssen gekonnt gesungen werden, damit es nicht peinlich wirkt. Schließlich wird im März 2024 die Krimikomödie "Achtsam Morden" nach dem Erfolgsroman von Karsten Dusse aufgeführt. Alle Fans dürfen sich auf Dieter Hallervorden in neun Rollen freuen.

Aus der Fülle von Gastspielen sollen nur zwei genannt werden. "Elvis - A Tribute to the King of Rock ’n Roll", eine spannende Geschichte mit Live-Musik, Gesang und Hüftschwung über Glamour und Tragik des Weltstars, gastiert im Mai 2024 mit dem Karlsruher Sänger Nils Strassburg. Und es wird wieder die Veranstaltungsreihe "Kunst der UnFuge" mit dem Deutschen Symphonie-Orchester neu aufgelegt, in der fünf Stars der Kleinkunstszene mit den Musikern ein Kabarett Konzert aufführen.

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

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