Der Narr verstummt nicht

Dieter Hallervorden mit "Stationen eines Komödianten" im Schlosspark Theater Berlin.

Foto von Schlosspark Theater/DERDEHMEL/Urbschat
Foto von Schlosspark Theater/DERDEHMEL/Urbschat

Der Hausherr des Schlosspark Theaters gab sich die Ehre. Zum Auftakt der neuen Spielzeit am 19. August präsentierte sich Dieter Hallervorden mit dem Programm "Stationen eines Komödianten". An seiner Seite Harald Effenberg, einer aus der Schar seiner langjährigen Begleiter, speziell bei den unzähligen vom Publikum gefeierten Sketch-Auftritten. Effenberg erweist sich als kongenialer Partner und ist mehr als nur ein Stichwortgeber für den Ausnahme-Künstler. Die 440 Plätze im Theater waren seit langem restlos ausverkauft. Als dann Hallervorden auf der Bühne steht, empfängt ihn ein tosender, nicht enden wollender Beifall. Eine solche Welle der Begeisterung schon vor Beginn ihres Auftritts dürfen sicherlich nur wenige Künstler erleben.

Das bereits im Jahr 2008 konzipierte Programm setzt auf eine bunte Folge von gespielten Witzen und Sketchen, die aus den früheren sehr erfolgreichen Fernsehreihen der ARD "Nonstop Nonsens" in den 70er Jahren, "Hallervordens Spott-Light" der Jahre 1994 bis 2003 und aus den Hallervorden Solo-Programmen stammen. Zusätzlich wurden den Zuschauern auf einer Leinwand kurze Videoeinspielungen präsentiert, darunter einen der Lieblingsfilme von Dieter Hallervorden. Dabei handelt es sich um Konzertmusiker, die den "Winter" aus Vivaldis "Vier Jahreszeiten" spielen - die Musiker werden nebst dem Dirigenten alle von Hallervorden höchstselbst dargestellt. Während der Aufführung kommen ein Schneesturm und starker Frost auf und die Bühne und alle Darsteller versinken im Schnee. Der Dirigent vereist und bricht schließlich wie ein Eiszapfen in der Mitte durch. Nonstop Nonsens!

Auch die Kiste mit den frechen Witzen über Politiker kann Hallervorden öffnen, ohne dass es peinlich wirkt. Berühmt berüchtigt die Witze über den Ex-Kanzler Kohl und seine Frau Marianne, zum Beispiel, wie sie am Wolfgangsee Urlaub machen. Ehefrau Marianne: "Ach guck mal Helmut, am Ufer die Pinguine. Davon hätte ich gern einen Pelzmantel." Darauf Helmut: "Hannelore, das sind keine Pinguine, das sind Pelikane, davon macht man Füller." Wer es mag, sehr viele im Publikum tun es.

Aber das Programm präsentiert nicht allein Höhepunkte an Slapstick-Nummern, sondern wunderbar herausgespielte Kabarett-Szenen, zumeist mit skurriler Schluss Pointe. Der Kabarettist Hallervorden verspricht in seiner Begrüßung, dass das Programm von ihm mit dem Texter-Team an manchen Stellen aktualisiert wurde. So lässt er es sich nicht nehmen, zu Beginn der Vorstellung mit einem umgehängten Hausierer-Bauchladen das große Schild "Gendern" herauszunehmen, hochzuhalten und dann über dieses "woke Thema" herzuziehen. Bei diesem Thema Gendern lässt sich der sprachgewaltige Kabarettist und Schauspieler nicht den Mund verbieten. Gendern ist für Hallervorden, wie mehrfach in Interviews zu lesen, ein "künstlicher, politisch motivierter Eingriff in gewachsene Sprachstrukturen". Es gebe keinerlei wissenschaftliche Belege dafür, dass sich über eine Veränderung der Grammatik gesellschaftlicher Wandel erzielen lasse. Und er stellt fest: "Wie kommt eine politisch motivierte Minderheit dazu, einer Mehrheit vorschreiben zu wollen, wie wir uns in Zukunft auszudrücken haben? Die deutsche Sprache als Kulturgut gehört uns allen. Keiner hat ein Recht, darin herumzupfuschen." Und der Komödiant fragt in seiner Art: "Muss ich den Zapfhahn jetzt Zapfhuhn nennen?"

Es zeigt sich weiterhin, auch zum Erstaunen des Autors dieser Zeilen, dass ein großer Teil der schon vor längerer Zeit verfassten Sketche an Aktualität kaum eingebüßt hat. Was das Publikum mit viel Szenenapplaus honoriert. Als im Jahr 2003 nach knapp zehn Jahren und mehr als 100 Folgen die kabarettistische Sendung Hallervordens Spott-Light vom SFB eingestellt wurde, äußerten sich die öffentlich-rechtlichen Entscheider nur sehr schmallippig zu den Gründen. Hallervorden wurde bei seinem Auftritt im August 2023 deutlicher. Es kann mit den öffentlichen gemachten offiziellen Beschwerden zu tun haben, die von der katholischen Kirche, vom Arbeitgeberverband, vom Beamtenbund und anderen staatstragenden Institutionen vorgebracht wurden. In einem Sketch über die Abgeordneten des Bundestages mit ihren steigenden Diäten wird festgestellt, dass über die Hälfte Beamte sind, die nicht im Ruf stehen, die hellsten Kerzen auf der Torte zu sein. Um dann so fortzusetzen: Beamten Eignungstest im gehobenen Dienst: Eine Stunde aus dem Fenster gucken und dabei nichts bemerken. Eignungstest für den höheren Dienst: Zwei Stunden aus dem Fenster sehen und nicht bemerken, dass die Rollläden unten sind.

Und auch der nervenaufreibende Alltag eines EU-Spitzenbeamten wird in einem nahezu absurden Dialog zwischen den Herren von Sabbeln und Dr. Krümelkack karikiert, die sich in den Räumen der Euro Handelsnormkoordinierungskommission Nahrungsmittel und Bekleidung (EuHanokokoNaBeke) treffen: "Wie kann ich mit der europäischen Nudel fertig werden, wenn Sie mich ständig bei den Eiern hängen lassen?" - gemeint ist die Vorschrift zur Normierung der Größe der Eier. Wortspiele und Wortwitz, Ulk, Jux und ein bisschen Klamauk - dem Publikum macht es einen Heidenspaß. Man vergisst angesichts der Absurdität des Beispiels fast, dass die Regelungswut aus Brüssel alle Bereiche unseres täglichen Lebens betrifft, Kontroll- und Dokumentationspflichten gefährden die Existenz der Handwerksbetriebe, Haus-Sanierungspflichten belasten den Wohnungsmarkt und eine verkorkste Klimapolitik führt in die Rezession. Im Sketch, der vor 20 Jahren entstand, wird das Problemchen auf die lange Bank geschoben und er schließt fast prophetisch mit dem Satz: "Bis dahin gibt es bestimmt weit größere Arschlöcher, entweder bei den Hühnern in Sizilien oder bei uns in Brüssel."

Nun hat besonders in den letzten Jahren der weiter um sich greifende Zeitgeist in Witzen und Sketchen eine angebliche Gefahr für die moralische Ausstattung der Gesellschaft ausgemacht. Nach dem Wirbel um den Komiker Otto Waalkes, ist nun auch Harald Schmidt ins Visier der Tugend Apostel beim WDR geraten. Die oft gesehenen, viele Jahre alten Sendungen werden in der Mediathek des Senders, weil sie aus heutiger Sicht angeblich diskriminierend sein sollen, mit Warnhinweisen bepflastert. Betrachtet der Zuschauer nun das aktuelle Programm von Dieter Hallervorden, so könnte man annehmen, der Allround-Komödiant hat die Sketche mit Bedacht so gewählt, um in den erlauchten Kreis der von den Öffentlich Rechtlichen Verfemten aufgenommen zu werden und seinen Ritterschlag mittels solcher Warnhinweise zu erhalten. So wählte Hallervorden einen Video-Sketch aus einer Sendung der ARD zu seinem 70. Geburtstag aus, die ein so genanntes "Black Facing" zeigt, was heutzutage generell als rassistisch gelten soll. Hallervorden glossiert eine berühmte Szene aus dem Film "Casablanca", sitzt als farbiger Pianist Sam am Klavier in Rick‘s Cafe und klimpert nach der berühmten Aufforderung von Ingrid Bergman im Filmoriginal "Spiels noch einmal, Sam", fröhlich einen Gassenhauer. Wenn die Moralwächter beim Fernsehen und anderswo heute vor solcherart unangepasster Komik warnen, dann wird das - ungewollt - zu einem Qualitätssiegel. Man sollte nicht vergessen: Hallervordens Spott-Light übertraf in seinen Glanzzeiten sogar die Einschaltquoten der Tagesthemen.

Zu seiner Best-of Auswahl gehören auch diejenigen Sketche, bei denen das Männliche und das Weibliche ganz im Mittelpunkt stehen, ob nun als alter Macho oder naive Hausfrau. Wird da die Gleichberechtigung in Frage gestellt, die Rolle der Frau nicht ausreichend anerkannt? Das laute und herzliche Lachen der Zuschauer, die Freude über die Komik sieht man in den Zuschauerreihen bei Frauen und Männern gleichermaßen. Ihr Lachen wischt solche Vorbehalte leicht beiseite.

Das Programm im Schlosspark Theater lautet: Stationen eines Komödianten. Doch die wichtigen Stationen von Dieter Hallervorden sind insgesamt so schillernd und vielfältig, dass sie eigentlich Platz für drei Leben bieten. Schon allein die Aufzählung ist mit großem anerkennendem Staunen verbunden. Vor 63 Jahren gründete er das Kabarett-Theater "Die Wühlmäuse" in Charlottenburg, das er seitdem leitet. Es folgten die eigene Filmgesellschaft Halliwood, das Kleinkunstfestival in Berlin, die Eröffnung des Schlosspark Theaters in Steglitz und schließlich im vergangenen Jahr das Mitteldeutsche Theater in der Marienkirche in seiner Geburtsstadt Dessau. Er inszeniert, produziert, singt, synchronisiert, steht auf der Bühne und ist in Filmen zu sehen. Seine Leistungen als Charakter-Schauspieler in solchen erfolgreichen Spielfilmen wie "Honig im Kopf" oder "Sein letztes Rennen" wurden mit dem Bambi und dem Deutschen Filmpreis geehrt. Als Schauspieler und Theaterleiter erhielt er im letzten Jahr zum vierten Mal den "Goldenen Vorhang", eine Auszeichnung des Berliner Theaterclubs. Kurz vor seinem Geburtstag am 5. September erlebt der Zuschauer die Koketterie mit seinem Alter auf Hallervorden-Art. Ihm werde oft die Frage gestellt, wie ist es denn so mit 88? "Ist nicht schlimm, wenn man 88 wird. Schlimm ist es nur, wenn man es nicht wird."

Zum Schluss sollte für all die wenigen Unwissenden noch ein Aufklärungs-Service stehen. Das Signalwort Palim Palim taucht mehrmals in einem Sketch in einem Kaufmannsladen auf, in dem immer wieder eine Flasche Pommes Frites eine Rolle spielt. Palim Palim ist das unverkennbare Geräusch der Türglocke. Der Rest ist Legendenbildung. Von Hallervorden ist überliefert, dass er dieses Markenzeichen Palim eigentlich nicht so übermäßig schätzt, wenn es den Komödianten auf solche Slapstick-Rollen reduziert. Aber er singt in seinem Programm mit Verve die Liedzeile: "Palim ist ein Geheimnis, animiert die Midelife Crisis". Und er trägt den kompletten Sketch an diesem Abend mit seinem Partner Effenberg als Zugabe vor. Wollen wir den Sketch mit dem Kaufmannsladen spielen? Und das Publikum ist hin und weg.

Die Hymne am Schluss kann auch als Lebens-Credo von Dieter Hallervorden gelten. Ein kleiner Auszug:

"Er war Harlekin und Hofnarr, Bajazzo und Clown,
stets bereit, alle Welt in die Pfanne zu hauen. …
Noch eine Verbeugung, noch einmal Applaus,
dann schließt sich der Vorhang, der Narr geht nach Haus,
jedoch er verstummt nicht, verlasst Euch darauf,
der Narr kommt wieder - ein Narr gibt nie auf."

Marc Vorwerk ist einer der Topfotografen in Berlin und begeistert mit seinen Werken Wirtschaft, Politik und Kultur.
An dieser Stelle gibt es im Wechsel sein bestes Foto exklusiv bei CHEXX.

Bei Magazin CHEXX werden Cookies und andere Technologien verwandt. Durch Anklicken des Buttons Akzeptieren stimmen Sie der Verwendung zu. Ausführliche Informationen hierzu finden Sie unter Datenschutzerklärung.