Sie sorgt auch für kaum verhohlene Freude bei machtbewussten Politikern. Denn die Katastrophe kann ungemein nützlich sein. Das zeigen unzählige Beispiele. Da wanderte Bundeskanzler Schröder im Wahlkampf in Gummistiefeln die Oder-Deiche entlang und gewinnt seine zunächst wacklige Wiederwahl zum Bundeskanzler. Da erklärt Bundeskanzlerin Merkel die Opfer der Tsunami-Monsterwelle an der Küste Japans wahrheitswidrig zu Opfern des Kernkraftwerkes Fukushima, um die Kernkraftwerke in Deutschland stillzulegen. Dank Katastrophe kann sie eine Energiewende befeuern, die widersprüchlich und teuer ist, aber ihre Macht weiter zementiert. In Berlin gewinnt dank Angst, Schrecken und Ausnahmesituation durch den Virus der Bürgermeister-Darsteller in Berlin nach ständig sinkenden Umfrageergebnissen seiner Person und Partei sogar wieder ein paar magere Prozentpunkte dazu. Doch in allen diesen Fällen haben leider solche Katastrophen zusätzlich die unangenehme Eigenschaft, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von sehr gravierenden Entscheidungen und Beschlüssen in der Politik abzulenken.
Wie im Fall der Berliner S-Bahn.
Zwar ist im Zusammenhang mit den Maßnahmen zum Coronavirus auch der Dienstbetrieb eingeschränkt, wie die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz auf ihrer Website wissen lässt. Aber die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg haben hinlänglich Zeit übrig gehabt, sich am erstem Mai-Wochenende dieses Jahres nach langem Streit darauf zu einigen, wie die Modalitäten einer Ausschreibung zur Vergabe der beiden S-Bahn-Teilnetze Nord-Süd und Stadtbahn in der Hauptstadt einschließlich angrenzendem Brandenburg aussehen. Es ist wohl nun beschlossene Sache. Zwei Drittel des Betriebes der S-Bahn sollen für einen Zeitraum von 15 Jahren an Privatunternehmen vergeben werden, die Bereiche Wagenbeschaffung und Instandhaltung der Wagen sogar für die doppelte Zeitspanne 30 Jahre. Es handelt sich hier um das größte Ausschreibungsverfahren in der Geschichte der Berliner S-Bahn. Im Ergebnis wird damit der Weg beschritten, die S-Bahn zu zerschlagen und zu privatisieren. Nach heutigem Stand soll die Ausschreibung insgesamt acht Milliarden Euro umfassen. Und es ist kaum ein Trost, dass das Ganze erst im Jahr 2027 beginnen soll. Läuten da bei der Berliner Bevölkerung nicht die Alarmglocken? Hier wird ein staatliches Monopol mit dem Zauberwort Wettbewerb ausgehebelt. Besonders auf den Gebieten der Daseinsfürsorge und der Verfügung über Güter wie Wasser, Bildung, Mobilität und Gesundheit ist bei einer unkontrollierten Privatisierung durchaus Misstrauen angesagt. Als gebe es nicht die jüngsten erschütternden Beispiele im Gesundheitswesen, wo Sparpolitik zu einer Vielzahl von Problemen führte. Ebenfalls noch in guter Erinnerung sollte für die Berliner das Thema Veräußerung der Wasserbetriebe sein. Im Jahr 1999 wurden nach einem weltweiten Bieterwettbewerb private Firmen (Veolia Wasser früher Vivendi sowie der deutsche RWE-Konzern) beteiligt. Ein Dutzend Jahre später endete das Abenteuer mit einem Volksentscheid und der folgenden Rekommunalisierung der Wasserbetriebe. Eine Steigerung lieferte das Thema Wohnen mit dem Verkauf von öffentlichen Wohnungsbeständen an Finanzinvestoren. Die damalige rot-rote Koalition hält, wie damals die Berliner Mietergemeinschaft sarkastisch feststellte, "den Rekord im Verkauf von landeseigenen Wohnungen". Im Herbst vergangenen Jahres begann dann die Rekommunalisierung. Mit großer Öffentlichkeit kaufte der Berliner Senat für ein Vielfaches des damaligen Verkaufserlöses die ersten tausenden von Wohnungen von einem Immobilienkonzern zurück. Soweit ein wenig geplaudert über die glanzlose Geschichte der Privatisierung. Zurück zum Beschluss der Ausschreibung für die Privatisierung und Zerschlagung der S-Bahn. Das Thema ist seit Jahren heftig umstritten. Ein Volksentscheid über eine Teilausschreibung der S-Bahn und gegen die Privatisierung wurde bereits 2012 vor dem Landesverfassungsgericht gestoppt. Weil die Sache auch das Nachbarland Brandenburg betraf. Es gab und gibt immer noch viel Pro und Contra. Die Zerschlagung der Berliner S-Bahn richtet sich gegen die Deutsche Bahn, die vor zehn Jahren ein regelrechtes Chaos verursachte. Durch die Schließung von S- Bahn Werkstätten und mangelnde Wartung wurde das Verkehrssymbol von Berlin auf Magerkost gesetzt. An diese unfreiwillige Diät kann sich noch mancher Berliner lebhaft erinnern. Doch der Hauptgrund für den damaligen Verfall lag ja darin, dass Bahnchef Mehdorn mit "Kaputtsparerei" die Bahn auf Börsenkurs trimmen wollte. Hier fehlte Kontrolle der Oberleitung der Bahn und nicht etwa der Wettbewerb. Fakten und Argumente zur Zukunft der S-Bahn müssen diskutiert und der Streit darüber ausgetragen werden. In Zeiten des Coronavirus ist sozusagen durch höhere Gewalt fast alles ausgebremst. Die Opponenten können sich nicht treffen, sie dürfen nicht demonstrieren und die kritische Öffentlichkeit ist mit der Diskussion für und wider eines Mundschutzes beschäftigt und abgelenkt. Doch da ist noch das Internet. Mögen noch so viele Ratgeber aus den Medien und den NGOs vor Lug und Trug im Internet (den es auch gibt) vehement warnen. Der interessierte Berliner kann mit etwas Zeit und wenig Mühe vieles ausreichend über die Privatisierung der S-Bahn nachlesen, um sich ein Urteil zu bilden.
Übrigens auch über jene Parteien (und vor allem deren Führungsmannschaften), die das Symbol der Stadt S-Bahn zerschlagen und wieder gewählt werden wollen. Die Öffentlichkeit und die Argumente und Fakten zur Privatisierung S-Bahn können eben auch in Zeiten vom Coronavirus nicht völlig ausgeschaltet werden. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.